Sonntag, 22. März 2009

Exkurs: Socalled im Wiener Konzerthaus, 16. März 2009

Da es ganz gut - mehr oder weniger - zum Thema passt, folgender Exkurs: Der kanadische Musikproduzent und DJ Socalled, der sich in den letzten 10 Jahren einen Namen als Experte für das Samplen und Neu-Arrangieren alter jüdischer Musik, traditionellem hebräischen und jiddischen Liedgut, gepresst auf 50 bis 80 Jahre alten Schallplatten, die er tausendfach zuhause hortet, gemacht hat, absolvierte vergangene Woche sein meines Wissens nach zweites Konzert in Wien. Zumindest sein zweites innerhalb der letzten zwölf Monate - er trat bereits im Herbst 2008 am "Spot on Jiddischkeit"-Festival des Wiener Konzerthauses an einer ausverkauften Veranstaltung gemeinsam mit Klezmer-Legende, dem Klarinettisten David Krakauer auf.

Folgenden Text hab ich bereits vorverfasst, da ich mit dem Gedanken gespielt hab, irgendwen irgendwo zu fragen, ob er veröffentlicht werden kann. Mir war es dann aber zu blöd, bei allen Zeitungen und Zeitschriften anzurufen, nachdem ich schon beim Standard keine Antwort bekommen hab ;-) (man hat mir dort bei einem Hearing mal gesagt, ich soll mich doch melden, wenn ich was geschrieben hab - aber genau aus diesem Grund, der Ignorierung, schreib ich nie was "einfach so"); Eigentlich wollt ich den Text ohnehin gleich hier veröffentlichen - aber aus besagtem Grund hab ich noch ein bisschen gewartet. Also nur, damit ihr (ich weiß, ich spreche mit der Wand) wisst, warum sich oben einleitend geschriebenes gleich noch mal teilweise wiederholt (aber ich wollte es nicht überarbeiten, weil ich es so schön Zeitungs-mäßig cool und großspurig formuliert habe ;-):

Was herauskommt, wenn Jahrtausende alte jüdische Musiktradition auf jüngere Innovationen der Musikgeschichte wie Hip Hop und Drumcomputer trifft, führte Montagabend der kanadische DJ, Rapper, Musiker und Produzent socalled (eigentlich Josh Dolgin) dem Wiener Publikum im Konzerthaus vor Augen und Ohren. Gemeinsam mit drei weiteren Musikern (E-Bass und -Gitarre sowie Klarinette) und der Sängerin Katie Moore präsentierte er in einer etwa 90-minütigen Show einen Querschnitt seines vielfältigen Repertoirs: von Klezmer unplugged über moderne Variationen traditioneller Lieder (mit Rap und Hip Hop-Beats) bis hin zu völlig neuartigen Hip Hop-Stücken, die von hebräischen und jiddischen Gesangs-Samples sowie der Klarinette unterstützt werden. Socalled selbst singt, rappt, spielt Klavier und Akkordeon und bedient ständig hektisch den Drumcomputer, aus welchem Samples von bis zu 80 Jahre alten Platten, sowie einprogrammierte Funk- und Hip Hop Beats entweichen. Einen gewissen Bekanntheitsgrad in Österreich verdankt socalled dem Radiosender FM4, wo die Single “You are never alone” 2007 häufig gespielt wurde. Vermutlich ist deshalb Wien der einzige Abstecher von seiner gegenwärtigen Frankreich-Tournee. Bereits 2008 absolvierte er, in Begleitung des bekannten Klezmer-Klarinettisten David Kracauer, einen Auftritt am “spot on Jiddischkeit”-Festival im Wiener Konzerthaus. Auf ein baldiges Wiedersehen, gerne auch mit größerem Ensemble, ist zu hoffen.


Fehlt nur noch "herzlichst, ihr Michael Jeannée", gell? (warum schreibt man Jeannée eigentlich mit zwei e, wo er doch männlich ist? Oder schreibt man ihn eh Michael Jeanné?)

Weil das hier jedenfalls keine Zeitung ist - weder Krone noch Standard - bleibt sogar noch Platz für viele, viele, viele zusätzliche Guetzlis, die in so einem doofen Papier-Produkt eh nie Platz hätten: einziger Nachteil: keine Leser (außer du, du liebe Wand).

Guetzli Nummer 1: diese zwei wunderschönen Fotos in rührend-altehrwürdiger Steinzeit-Qualität, gemacht mit meinem uralt-gebraucht Handy, das außer dieser für damalige Verhältnisse hochauflösenden Bilder auch bereits SMS senden und empfangen kann:



Und Guetzli-Nummer 2: Folgendes, mindestens ebenso hochauflösendes, dazu aber auch noch akustisch ein wahrer Genuss, Video des Eröffnungsliedes: mit viel Fantasie kann man sich in das wunderbare Konzerterlebnis, diese kongeniale Vermischung herkömmlicher Instrumtente mit der zauberhaften Drum-Machine, hineinversetzen, auch wenn es leider eher wie eine Halluzination im Drogenrausch (vgl. Trainspotting) aussieht und sich auch so anhört:



eine akustisch und bildlich hingegen nahezu meisterhafte Version dieses Liedes findet sich übrigens als Video hier. Allerdings ist diese meiner Meinung nach übertrieben drum-lastig und nicht so ausgewogen wie in Wien.

3. VO - 17. März 2009 - Gideon Singer

Kindheit vor dem Nationalsozialismus

Dritter Gast bei Peter Landesmann war der Schauspieler Gideon Singer. 1926 in Brünn als Harry Singer geboren, wuchs er zweisprachig auf: mit seiner Mutter sprach er deutsch, mit seinem Vater tschechisch. In seiner Kindheit war er mehrmals in Wien, wo er seinen Onkel, der Operettentenor (wenn ich es richtig verstanden hab) war, besuchte. Jedenfalls weckten seine Wien-Besuche bei seinem Onkel sein Interesse für die Oper, weshalb er dann auch in Wien "Oper studieren" wollte, was seinem Stiefvater aber gründlich missfiel (den Teil, wie es vom Vater zum Stiefvater kam, hab ich leider verpasst oder er wurde nicht erwähnt); er wollte sodann weitere Wien-Besuche verhindern.

Flucht nach Palästina

1940 (laut Eigenaussage; und somit nicht 1941, wie etwa in der Wikipedia; 1940 wird auch durch andere Quellen unterstützt) floh er mit seiner Familie per Schiff nach Palästina, wo er sodann in ein Kinderheim gesteckt wurde (auch diesen Teil der Geschichte konnte ich nicht ganz nachvollziehen; allerdings gab es zB. in Zypern Internierungslager, wo "illegale" jüdische Flüchtlinge während des Zweiten Weltkriegs von den Briten samt Frauen und Kinder interniert wurden; auch im damaligen Völkerbundsmandat Palästina gab es offenbar Internierungslager für illegale Einreisende; Singer sagte jedenfalls, dass er in ein Kinderheim, dessen Name ich nicht identifizieren konnte (Alyat Anoah oder so?), gesteckt wurde;

Im Kinderheim nach seinem Namen gefragt, meinten die Betreuer sofort "Harry ist kein jüdischer Name". Er bekam eine Liste hebräischer Namen, die er zwar nicht lesen konnte, aber durch die er sich fleißig durchfragte. Als er einen neuen Vornamen für sich gefunden hätte - er hieß übersetzt sowas wie "Wolf" - meinten die Betreuerinnen jedoch, den Namen habe schon ein anderes Kind gewählt. Harrys zweite Wahl war dann Gideon. Seinen Nachnamen durfte er, obwohl sie den auch ändern wollten, letztlich behalten.

Jüdische Identität im Wandel

Auch bei Gideon Singer trifft man wieder auf jenes anfänglich distanzierte Verhältnis zum Judentum, wie es bereits in Otto Schenks oder Danielle Speras Elternhaus vorherrschte. Seinen Vater bezeichnet Singer als einen "Antisemiten" - also ein "jüdischer Nazi", wie Landesmann überspitzt scherzte. Der Bruder seiner Mutter war aber tatsächlich Nazi, so Singer. Mir ist allerdings nicht bekannt ob Singers ganze Familie jüdisch war, denn sonst wäre der Bruder seiner Mutter tatsächlich ein "jüdischer Nazi" gewesen. Jedenfalls gab uns Singer damit zu verstehen, wie es um die "jüdische Identität" in seiner Familie bestellt war. Sie war praktisch nicht vorhanden. Nach dem Anschluss bzw. der Annexion der Tschechoslowakei und der beginnenden Judenverfolgung habe sich Singer jedenfalls gewundert, dass er "auch Jude" ist. Im Gymnasium durften nun pro Klasse nur noch zwei Juden sitzen, ab 22 Uhr galt eine Ausgangssperre und andere Diskriminierungen wurden ab nun vom NS-Staat verordnet.

Als er gegen Kriegsende bzw. danach von der Shoa erfuhr, vom Tod vieler Verwandter, sei das für ihn angeblich kein großer Schock gewesen. Er sei noch zu jung gewesen, als dass ihm das besonders nahe hätte gehen können - möglicherweise kannte er, bis auf seinen Onkel und seine Cousine(n?) in Wien seine Verwandtschaft auch kaum, näheres hat er dazu jedenfalls nicht gesagt.

Neues Leben in Israel und "Rückkehr"/erneute Auswanderung nach Österreich

Singer lernte bald hebräisch und wuchs ins im Entstehen begriffene Israel hinein. Er kämpfte in "5 bis 6 Kriegen" - "nur?" (Landesmann) und wurde so zum Israeli, jedoch nicht religiös. Generell sei es für "europäische Juden" (gemeint sind wohl insbesondere die Assimilierten) schwer gewesen, sich in Israel zu integrieren: klimatisch, mental und insbesondere sprachlich.

Was hat dich dazu bewegt, Israel zu verlassen? (Landesmann)
"Ich habe Israel bis heute nicht verlassen" (Singer). Es habe sich einfach so ergeben, als er in den 70ern von Rolf Kutschera eingeladen wurde, in Wien aufzutreten. Er habe zwei Identitäten: eine israelische und eine österreichische, die laut Pass, wo immer noch "Harry Singer" steht, allerdings eine tschechische ist.

Judentum im Alltag

Wie bereits erwähnt, ist Singer nicht religiös. Er weiß nicht mal, ob in der IKG ist, also ob er jemals eingetreten ist (fragender Blick zu seiner Frau, die ebenfalls anwesend war). Falls ja, würde er aber trotzdem nicht austreten. Dennoch spielt seine jüdische Identität, die er gemessen an seinen bisherigen Aussagen vermutlich eher als israelische beschreiben würde, im Alltag immer wieder eine Rolle. Dass er immer wieder als Jude wahrgenommen und in so eine Schublade gesteckt wird, störe ihn allerdings nicht besonders. Er erzählte von einem Ereignis, ich glaube es war in Deutschland, wo er von einem anderen Theaterschaffenden mit den Worten "Gideon Singer, Jude" vorgestellt wurde. Es sei jedoch scherzhaft gemeint gewesen, derjenige sei ein naiver Mensch und Singer ihm deswegen nicht böse.

Als Singer während der Waldheim-Zeit einen Israel-Aufhalt absolvierte, habe man ihn dort gefragt, ob er sich denn in Österreich unbehelligt auf offener Straße bewegen könne.

Ob er Erfolg und Misserfolg auf sein jüdische Zugehörigkeit zurückführe? (Landesmann) - Nein, "diesen Komplex" habe er nicht, bzw. habe er ihn abgelegt. Lediglich beim Autofahren, wenn sich jemand vorbeidrängle oder ihm die Vorfahrt nehme, rege er sich auf, dass dies sicher ein Antisemit sei - aber natürlich nur zum Scherz. "Das einzige worunter ich wirklich leide, jeder möchte mir einen jüdischen Witz erzählen".

Ob es etwas geistig Verbindendes unter Juden gäbe? (Landesmann) - Ja, aber das dürfe man nicht überschätzen oder verallgemeinern (Singer). Hierzu muss ich übrigens noch eine Aussage Otto Schenks einbringen: Beim ersten Treffen der "Deutschen Jungschar", wo auch "Halbjuden" miteingezogen wurden, hatten sich alle in einem Raum auf die vorhandenen Sitzplätze zu setzen. Als es dann hieß, die "Halbjuden" sollen alle aufstehen, standen genau vier Personen, inklusive Schenk, auf, und alle saßen nebeneinander in der selben Reihe, obwohl sie sich noch nie zuvor gesehen hatten - erzählte ein sichtlich amüsierter Schenk am ersten Termin dieser Gesprächsreihe.

Befragt zu Antisemitismus, dem Nahost-Konflikt, Vergangenheitsbewältigung und ähnlichen "schweren" Themen wich Singer häufig aus. Er könne dazu nichts sagen, könne über solche Dinge nicht reden, habe dazu keine Meinung. Das brachte Landesmann dann auch zur Frage, ob er meine, dass ein Schlusstrich unter die NS-/Shoa-Vergangenheit gezogen werden sollte. In gewisser Weise ja, so Singer; zumindest persönlich setze er sich nicht weiter mit der Vergangenheit auseinander, er lest zum Beispiel keine Bücher diesbezüglich (aufgrund seines persönlichen Lebenslaufes meiner Meinung durchaus eine verständliche Einstellung - er hatte wohl schon mehr Auseinandersetzung mit dem Thema, als ihm vielleicht lieb war). Aber generell dürfe man die Ereignisse keinesfalls vergessen. Bei Fragen zu diesem Thema müsse man ihm jedenfalls zugute halten, dass es sein erstes Interview in dieser Art, wo es "über ihn" geht, sei.

Bezüglich der Situation in Israel hat er jedenfalls eine klare Einstellung: er "leidet" unter der "israelischen Innenpolitik" - "vor allem jetzt", wo "die Zionisten wieder am Ruder" sind.

Dienstag, 17. März 2009

2. VO - 10. März 2009 - Danielle Spera

Zweiter Gast der Gesprächsreihe bei Peter Landesmann war Danielle Spera, österreichweit bekannt als Sprecherin der Zeit im Bild (ZIB), der Hauptnachrichten des ORF-Fernsehens. Ihr Vater, der noch als Jugendlicher in der NS-Zeit verfolgt und unter anderem zu Zwangsarbeit verpflichtet wurde, schickte Danielle im Nachkriegsösterreich "zum Schutz" in eine katholische Schule. Ihre jüdische Identität hat sie deshalb aber nicht aufgegeben, wenngleich sie sich den Ausruf "Oh Gott" nicht mehr abgewöhnen konnte, was allerdings auch keinen Widerspruch zum jüdischen Verbot, den Namen Gottes auszusprechen, darstellt, da "Gott" ja nicht sein Name sei ;-)

In Speras Haushalt - sie ist mit dem Psychoanalytiker Martin Engelberg verheiratet und hat drei Kinder (vgl. Wiener Zeitung) - spielt die jüdische Religion und Tradition eine große Rolle. Jüdische Feiertage werden, mit Ausnahme des Sabbad, an dem mitunter gearbeitet werden "muss", grundsätzlich eingehalten, sie und ihr Mann besuchen wöchentlich die Schi'ur. Koscher wird zwar auch gegessen, aber nicht in der strengsten Auslegung. Auch eine Pessach-Küche habe sie nicht (zu Pessach muss das ganze Haus gründlichst geputzt werden, insbesondere die Küche, damit das essen auch wirklich "koscher für Pessach" ist), würde sie sich aber wünschen.

ORF antisemitisch?

Viel zu diskutieren gab es über die Berichterstattung des ORF, die mitunter als antisemitisch und/oder anti-israelisch kritisiert wird. Hierzu wusste Spera gleich mehrere Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit, die zum Teil auch für großen Wirbel in der Redaktion bzw. ORF-intern sorgten:

1) Die Berichterstattung über die Solidaritätskundgebung für Israel am Judenplatz anlässlich des Gaza-Krieges. Die Atmosphäre - es war finster, regnete (glaub ich) zeitweise sogar, die Stimmung (zumindest die, die von der Kamera vermittelt wurde) war eher gespannt bis aufgewühlt - diese Atmosphäre jedenfalls sei vom Berichterstatter bewusst gegen ein Interview in gemütlicher Kaffeehaus-Atmosphäre mit einem Vertreter der muslimischen Glaubensgemeinschaft ausgespielt worden, wo dieser seelenruhig seine Kritik an Israel ausbreiten konnte, etwa dass die Israelis die Palästinenser auslöschen wollen. Dies sorgte dann nicht nur für Proteste innerhalb des ORF, sondern auch seitens des israelischen Botschafters und führte letztlich zu einer Entschuldigung der ORF-Verantwortlichen.

2) Ebenfalls erwähnt wurde jener ZIB-Bericht vom 18. Dezember 2008, der auch mir damals, während des Gaza-Krieges, negativ aufgefallen ist (den Fall hab ich damals im Vergleich mit dem ARTE-Info-Kurzbericht punktgenau in meinem Blog nachgezeichnet, bitte hier nachlesen); Jedenfalls soll dieser voller selektiver Darstellung strotzende Bericht im Nachhinein für viel Wirbel in der Redaktion gesorgt haben, bis zur diplomatischen Ebene schaffte er es jedoch nicht.

Generell, so Spera, verfüge der ORF mit Ben Segenreich in Tel Aviv und Karim El-Gawhari in Kairo jedoch über ausgezeichnete Journalisten, die für eine ausgeglichene Berichterstattung von beiden Seiten des Nahostkonflikts sorgen.

Redaktionsinterne Ansprechpartner für jüdische oder israelische Themen gebe es jedenfalls mit Susanne Scholl, Joana Radzyner und einst mit Robert Hochner.

Was - meiner Meinung nach - letztlich bleibt, ist der Eindruck eines hinsichtlich der Nahost-Berichterstattung gespaltenen ORF - denn wie sonst soll man sich unseriöse Berichte mitten in den Hauptnachrichten erklären, während wenig später hervorragende Korrespondenten oder Moderatoren/Interviewer sich um Seriösität bemühen?

Profil, Kreisky

Kritik übte Spera auch an Profil-Herausgeber Christian Rainer, der Bundespräsident Heinz Fischer in einem Interview gefragt haben soll, ob "die Bilanz im Gaza-Krieg" (über 1000 Tote auf palästinensischer Seite und etwa ein Dutzend auf israelischer) nicht hätte "umgekehrt ausfallen sollen". Ob dies nun seine persönliche Einschätzung sei oder lediglich eine provokative Frage hätte sein sollen, um dem Bundespräsidenten nicht vielleicht eine ungeschickte Antwort entlocken zu können, sei dahingestellt. In beiden Fällen aber wohl kaum eine rühmliche Leistung eines Nachrichtenmagazin-Herausgebers. Die Provokation gegen Israel - dass quasi die ganze Welt nach seiner Pfeife tanze, Stichwort "Israel Lobby" - hatte ja bereits mit einem unübersehbaren Cover für Aufsehen gesorgt und auch in internationalen Blogs Resonanz gefunden.

Auch Kreisky wurde wieder angesprochen. Dieser habe durch seine vehemente Ablehnung des jüdischen - etwa inform der Zusammenarbeit mit ehemaligen Nationalsozialisten und der FPÖ sowie der Intrige gegen Simon Wiesenthal - für den "Kreisky-Effekt" gesorgt, der einen gewissen Antisemitismus auch bei Personen mit intellektueller Basis legitimiert habe.

Unter die Geschichte, insbesondere jene des Nationalsozialismus und der Shoa/Holocaust, dürfe jedenfalls kein Schlussstrich gesetzt werden, denn es wird ja immer noch geleugnet, sowohl von rechter Seite als mitunter auch von kirchlicher, wie die Causa um die Pius-Brüderschaft erst kürzlich wieder aufzeigte. Je weniger Zeitzeugen es gibt, um so wichtiger wird das Erinnern und Aufklären. Deshalb schreibt ihr Vater nun auch seine Erinnerungen aus seiner Jugendzeit im nationalsozialistischen Wien auf, damit die Enkelkinder an diesen Erinnerungen eines Tages teilhaben können.

Sonntag, 15. März 2009

1. VO - 3. März 2009 - Otto Schenk

Otto Schenk hat, was vielleicht der Mehrheit der Personen, die ihn als Schauspieler kennen, nicht bewusst ist, einen äußerst direkten Bezug zum Judentum. Zwar konnte er nicht viel über das "Judentum in Österreich heute" sagen, doch hatte er umsomehr über seine Zeit als Kind während des Nationalsozialismus zu erzählen - vielleicht auch der Grund dafür, ihn als ersten Gast der Gesprächsreihe zu Wort kommen zu lassen.

Kindheit

Otto Schenks Vater hatte vier jüdische Großeltern, weshalb er für die Nationalsozialisten als "Volljude" - wie Schenk selbst formulierte - galt. Zwar ließen sich die Eltern seines Vaters taufen, und auch Schenks Vater wurde nach seiner Geburt getauft, doch interessierten solche Tatsachen die Nazis vorstellbarerweise kaum bis gar nicht. Schenk hatte jedoch das Glück, eine "arische" - im Sinne der Nazi-Rassengesetze - Mutter zu haben. Zu diesem "Glück" soll übrigens seine Mutter gesagt haben, sie schäme sich, keine Jüdin zu sein - worauf der Vater natürlich entgegnete: "Bist du deppert? Ich würde alles dafür geben, keiner zu sein. Du bist meine Rettung!". Die Ehe von Otto Schenks Eltern galt nämlich - da bereits vor den Nazi-Gesetzen geschlossen - als "privilegierte Mischehe". Ja, sowas gabs offenbar wirklich. Was das sein soll, konnte ich mir jedenfalls erst nach Lesen dieses Wikipedia-Artikels erklären. Das führte dann zu äußerst obstrusen Verhältnissen: Sein Vater wurde zwar als "Jude" diskriminiert, jedoch drohte ihm keine Deportation. Er verlor seinen Job als Jurist und verdiente sich fortan schwarz etwas Zusatzeinkommen für die Familie. Des weiteren, so Schenk, hätten die "arischen" Freunde der Familie zu ihnen gehalten und sich auch weiterhin - privat - mit ihnen getroffen und sie unterstützt.

Schenk selbst habe bis zum Anschluss Österreichs gar nicht wahrgenommen, dass er jüdische Vorfahren oder gar jüdische Freunde hätte und in einem jüdischem Umfeld lebe. Doch nach dem Anschluss wurde ihm dies schmerzhaft vor Augen geführt: "alles verschwand". Otto Schenk nahm in seiner Kindheit übrigens auch Schwimmunterricht: Am Attersee bei einem gewissen Wertheimer - es muss sich wohl um jenen Wertheimer handeln, der auch Friedrich Torbergs Schwimmlehrer gewesen war. Denn auch dieser hatte einen Wertheimer im Salzkammergut als Schwimmlehrer, er dürfte äußerst bekannt und erfolgreich gewesen sein. Jedenfalls, hatte dieser eine große, blonde, wunderschöne Frau - die "perfekte Arierin",
so Schenk scherzend - bloß: sie war Jüdin.

Doch zurück nach Wien: Schenk durfte, wenn ich es richtig verstanden habe, nach einer Weile nicht mehr zur Schule gehen, da er als "Halbjude" galt, und allmählich entwickelte sich in Schenk ein "Stolz, Halbjude zu sein", da er in vielen Bereichen die selbe Diskriminierung zu erfahren hatte, wie "richtige" Juden auch. Schenk wurde Teil der jüdischen "Schicksalsgemeinschaft" - das ist sein Zugang zur "jüdischen Identität". Eines Tages wurde er auch zur "DJ", dem "Deutschen Jungvolk", eingezogen - denn auch "Halbjuden" wurden vorerst mitverpflichtet, dieser Unterorganisation der Hitlerjugend beizutreten. Dort haben er und die anderen "Mischlinge" dann aus Protest - schließlich wollten sie ja nicht zur DJ - "gejüdelt" (jene vom jiddischen abgeleitete Jargonsprache, die in Wien vor 1938 wohl jeder kannte und teils wohl auch imitieren konnte), auch bei den Liedern, die sie marschierend singen mussten - aber niemand hats gemerkt. Und den nichtjüdischen Sitznachbarn hat er dann und wann einen jüdischen Witz "philosemitisch" erzählt, worauf die sich "aus Antisemitismus" halb totgelacht haben.

Nach einer Weile war es den Nazis aber offenbar auch zu blöd, dass sie "Halbjuden" zur DJ verpflichten, und "verboten" diesen sodann die Teilnahme (nachdem sie sie zuvor verpflichtet hatten). Otto hatte sich mittlerweile mit einigen der DJlern halbwegs angefreundet, und sie baten ihn, da Schenk ein guter Läufer zu sein schien, bei ihnen zu bleiben, um mit ihnen an Wettbewerben teilzunehmen. Sie nahmen es ihm fast böse, dass er plötzlich nicht mehr kam - aber er durfte ja nicht. Und wenn sich die Wege von DJlern mal mit jenen Schenks kreuzten, meinten sie gar mit vollem ernst: na, du hasts gut.

Zur "jüdischen Identität", Standpunkte

Die Varianten der jüdischen Identität, oder genauer gesagt, jener Personen, die während des Nationalsozialismus als Juden galten, stellte Schenk wie folgt dar:

- religiöse und orthodoxe Juden
- assimilierte Juden
- jüdische Schicksalsgemeinde

Zu letzterem zählte Schenk - diese Zugehörigkeit, durch die Diskriminierung als "Mischling" entstanden, bewirkte bei ihm ein jüdisches Identitätsbewusstsein, ein "Stolz, Mischling zu sein" - Ähnlich wie auch bei seiner Mutter, die sich fast schämte, das tragische Glück zu haben, als einzige in der Familie nicht diskriminiert zu werden.

Ein paar schöne Aussagen fand Schenk bezüglich Wien, aber auch dem orthodoxen Judentum. Zu Wien: Hier kann jeder Wiener werden, egal welche Herkunft oder Religion man hat - man wird zum Wiener Juden, Wiener Türken usw. - jedenfalls wird man Wiener. Darauf ist Schenk stolz, nämlich als Wiener dazugehören zu können, zur Wiener Kraft als Stadt - denn "ohne das Fremde gibt es nix Eigenes" (Schenk im O-Ton)

Beispielhaft für das Verhältnis zwischen Wiener Juden (insbesondere den assimilierten) und dem 1948 gegründeten Staat Israel bzw. den Kampf für dessen Existenz zitierte Schenk Marcel Prawy, der gesagt haben soll: "Wie komme ich dazu, als Wiener in die Wüste zu müssen?"

Zur Orthodoxie wiederum hat Schenk zwar keinen Zugang - weder als Kind noch danach - einfach aus dem Grund, da er "a-religiös" ist und ihm alles religiöse "peinlich" ist, egal ob katholisch, jüdisch oder sonst was. Allerdings empfand er das orthodoxe Judentum - die sichtbarste Form des Judentums auf den Straßen - als "entzückende schöne Farbe". Genau so empfindet er auch das (muslimische) Kopftuch als eine schöne Farbe, die eine Stadt bereichert.

Verzeihungssucht

Ein interessantes Thema, das sich vermutlich wie ein roter Faden durch alle Gespräche dieser Lehrveranstaltung ziehen wird, ist der "Fall Bruno Kreisky". Schenk und Landesmann kamen auf ihn bezüglich der "Verzeihungssucht" zu sprechen - eine Eigenschaft, die scheinbar viele Juden, die den Zweiten Weltkrieg überlebt hatten, hervor brachten: so auch Schenks Vater. Damit ist gemeint, dass man als Jude niemandem das selbe oder ähnliches Leid zufügen will, wie die Nazis den Juden. Den ehemaligen Nazis wird "verziehen". Vermutlich ist es aber wohl eher eine Art Verdrängungsmechanismus, um die grausame Zeit des Nationalsozialismus hinter sich liegen lassen zu können. Doch es war, so Schenk, eine "Verzeihungssucht, die manchmal zu weit ging". Als Beispiel nannte er eben Bruno Kreisky, der zwar aus einer jüdischen Familie stammte, aber fast demonstrativ ehemalige Nazis als Minister einsetzte und die Partei der Altnazis, die FPÖ, in die Regierung mitnahm. Auch bei der Restitution dürfte "Verzeihungssucht" mit im Spiel gewesen sein, sodass sich in vielen Fällen, bzw. insgesamt, viel zu lang viel zu wenig bewegte.

Judentum in Österreich heute - über eine Gesprächsreihe an der Universität Wien

Jetzt war ich schon zwei Mal dort und wieder habe ich mich gefragt, ob ich darüber berichten soll, da es mir berichtenswert erscheint und ich noch nirgends gesehen hätte, dass jemand anderer darüber berichtet. Es geht um die Gesprächsreihe mit dem Titel "Judentum in Österreich heute", die in diesem Semester (Sommersemester 2009) von Peter Landesmann am Institut für Judaistik an der Universität Wien angeboten wird.

Der Zusatztitel im Vorlesungsverzeichnis verrät: "Gespräche mit Beckermann, Brauer, Bronner, Eisenberg, Holender, Lansky, Lendvai, Lessing, Markus, Muzicant, Rabinovici, Schenk, Singer, Spera, Zadek." Da habe ich natürlich nicht lange gezögert um daran teilzunehmen, schließlich interessiere ich mich für Judentum, insbesondere in Österreich, aber auch für Publizistik/Journalismus (wofür etwa mit Bronner und Lendvai hochkarätige Gäste vorhanden sind).

Die Teilnahme ist übrigens ohne Anmeldung möglich (Studenten dürfen am Ende des Semesters eine Prüfung ablegen, die, je nach Studium, angerechnet werden kann). Ich schätze, dieser Termin (jeden Dienstag vormittag am Institut für Judaistik) hat sich bereits herumgesprochen oder wird sich noch weiter herumsprechen, eben da der Besuch für jeden möglich ist und da wirklich hochkarätige Gäste anwesend sein werden. Jedenfalls war der Saal beim zweiten Termin bereits etwas überfüllt - ich fürchte, es wird in Zukunft noch enger werden.

Gesprächsleiter und Initiator des Ganzen ist DDDr. Peter Landesmann (ich hoffe, ich habe kein Dr. vergessen?). Landesmann hat, wie er am zweiten Termin verraten hat, sowohl in Judaistik, evangelischer und katholischer Theologie promoviert. Bei den Evangelen und Katholiken dürfte er der erste Jude gewesen sein, der in "deren" Studium promoviert hat - zumindest bedurfte es, bevor er abschließen konnte, zuerst einiger Regeländerungen und Genehmigungen durch die Religionsoberhäupter in Österreich.

Die "Vorlesung" ist öffentlich und findet jeden Dienstag von 11.15 bis 12.45 im Hörsaal 1 des Instituts für Judaistik am Campus der Universität Wien statt.

Eine Anmeldung ist nicht nötig, Studenten, die sich den Besuch für ihr Studium anrechnen lassen wollen, müssen jedoch Ende Semester eine mündliche Prüfung absolvieren. Der "Saal" hat etwa 40 Sitzplätze, inklusive Boden und Stehplätze fasst er rund 60 Personen; Da der Besuch für jeden möglich ist, und die Gäste durchwegs prominent sind, war die Sitzplatzkapazität bereits am ersten Termin ausgeschöpft, beim zweiten wären auch nur noch wenige Boden- und Stehplätze "frei" gewesen; ich "befürchte" eine Zunahme der Platznot bei Fortschreiten des Semesters.

Dieser Blog soll von nun an jeden Termin, jedes Gespräch, dokumentieren - zumindest die wesentlichen Inhaltspunkte.
Ich werde zudem versuchen, Kontinuitäten, Gesprächspunkte, die bei jedem Gast angesprochen werden, zu erkennen und Gemeinsamkeiten/Unterschiede aufzeigen.