Sonntag, 15. März 2009

1. VO - 3. März 2009 - Otto Schenk

Otto Schenk hat, was vielleicht der Mehrheit der Personen, die ihn als Schauspieler kennen, nicht bewusst ist, einen äußerst direkten Bezug zum Judentum. Zwar konnte er nicht viel über das "Judentum in Österreich heute" sagen, doch hatte er umsomehr über seine Zeit als Kind während des Nationalsozialismus zu erzählen - vielleicht auch der Grund dafür, ihn als ersten Gast der Gesprächsreihe zu Wort kommen zu lassen.

Kindheit

Otto Schenks Vater hatte vier jüdische Großeltern, weshalb er für die Nationalsozialisten als "Volljude" - wie Schenk selbst formulierte - galt. Zwar ließen sich die Eltern seines Vaters taufen, und auch Schenks Vater wurde nach seiner Geburt getauft, doch interessierten solche Tatsachen die Nazis vorstellbarerweise kaum bis gar nicht. Schenk hatte jedoch das Glück, eine "arische" - im Sinne der Nazi-Rassengesetze - Mutter zu haben. Zu diesem "Glück" soll übrigens seine Mutter gesagt haben, sie schäme sich, keine Jüdin zu sein - worauf der Vater natürlich entgegnete: "Bist du deppert? Ich würde alles dafür geben, keiner zu sein. Du bist meine Rettung!". Die Ehe von Otto Schenks Eltern galt nämlich - da bereits vor den Nazi-Gesetzen geschlossen - als "privilegierte Mischehe". Ja, sowas gabs offenbar wirklich. Was das sein soll, konnte ich mir jedenfalls erst nach Lesen dieses Wikipedia-Artikels erklären. Das führte dann zu äußerst obstrusen Verhältnissen: Sein Vater wurde zwar als "Jude" diskriminiert, jedoch drohte ihm keine Deportation. Er verlor seinen Job als Jurist und verdiente sich fortan schwarz etwas Zusatzeinkommen für die Familie. Des weiteren, so Schenk, hätten die "arischen" Freunde der Familie zu ihnen gehalten und sich auch weiterhin - privat - mit ihnen getroffen und sie unterstützt.

Schenk selbst habe bis zum Anschluss Österreichs gar nicht wahrgenommen, dass er jüdische Vorfahren oder gar jüdische Freunde hätte und in einem jüdischem Umfeld lebe. Doch nach dem Anschluss wurde ihm dies schmerzhaft vor Augen geführt: "alles verschwand". Otto Schenk nahm in seiner Kindheit übrigens auch Schwimmunterricht: Am Attersee bei einem gewissen Wertheimer - es muss sich wohl um jenen Wertheimer handeln, der auch Friedrich Torbergs Schwimmlehrer gewesen war. Denn auch dieser hatte einen Wertheimer im Salzkammergut als Schwimmlehrer, er dürfte äußerst bekannt und erfolgreich gewesen sein. Jedenfalls, hatte dieser eine große, blonde, wunderschöne Frau - die "perfekte Arierin",
so Schenk scherzend - bloß: sie war Jüdin.

Doch zurück nach Wien: Schenk durfte, wenn ich es richtig verstanden habe, nach einer Weile nicht mehr zur Schule gehen, da er als "Halbjude" galt, und allmählich entwickelte sich in Schenk ein "Stolz, Halbjude zu sein", da er in vielen Bereichen die selbe Diskriminierung zu erfahren hatte, wie "richtige" Juden auch. Schenk wurde Teil der jüdischen "Schicksalsgemeinschaft" - das ist sein Zugang zur "jüdischen Identität". Eines Tages wurde er auch zur "DJ", dem "Deutschen Jungvolk", eingezogen - denn auch "Halbjuden" wurden vorerst mitverpflichtet, dieser Unterorganisation der Hitlerjugend beizutreten. Dort haben er und die anderen "Mischlinge" dann aus Protest - schließlich wollten sie ja nicht zur DJ - "gejüdelt" (jene vom jiddischen abgeleitete Jargonsprache, die in Wien vor 1938 wohl jeder kannte und teils wohl auch imitieren konnte), auch bei den Liedern, die sie marschierend singen mussten - aber niemand hats gemerkt. Und den nichtjüdischen Sitznachbarn hat er dann und wann einen jüdischen Witz "philosemitisch" erzählt, worauf die sich "aus Antisemitismus" halb totgelacht haben.

Nach einer Weile war es den Nazis aber offenbar auch zu blöd, dass sie "Halbjuden" zur DJ verpflichten, und "verboten" diesen sodann die Teilnahme (nachdem sie sie zuvor verpflichtet hatten). Otto hatte sich mittlerweile mit einigen der DJlern halbwegs angefreundet, und sie baten ihn, da Schenk ein guter Läufer zu sein schien, bei ihnen zu bleiben, um mit ihnen an Wettbewerben teilzunehmen. Sie nahmen es ihm fast böse, dass er plötzlich nicht mehr kam - aber er durfte ja nicht. Und wenn sich die Wege von DJlern mal mit jenen Schenks kreuzten, meinten sie gar mit vollem ernst: na, du hasts gut.

Zur "jüdischen Identität", Standpunkte

Die Varianten der jüdischen Identität, oder genauer gesagt, jener Personen, die während des Nationalsozialismus als Juden galten, stellte Schenk wie folgt dar:

- religiöse und orthodoxe Juden
- assimilierte Juden
- jüdische Schicksalsgemeinde

Zu letzterem zählte Schenk - diese Zugehörigkeit, durch die Diskriminierung als "Mischling" entstanden, bewirkte bei ihm ein jüdisches Identitätsbewusstsein, ein "Stolz, Mischling zu sein" - Ähnlich wie auch bei seiner Mutter, die sich fast schämte, das tragische Glück zu haben, als einzige in der Familie nicht diskriminiert zu werden.

Ein paar schöne Aussagen fand Schenk bezüglich Wien, aber auch dem orthodoxen Judentum. Zu Wien: Hier kann jeder Wiener werden, egal welche Herkunft oder Religion man hat - man wird zum Wiener Juden, Wiener Türken usw. - jedenfalls wird man Wiener. Darauf ist Schenk stolz, nämlich als Wiener dazugehören zu können, zur Wiener Kraft als Stadt - denn "ohne das Fremde gibt es nix Eigenes" (Schenk im O-Ton)

Beispielhaft für das Verhältnis zwischen Wiener Juden (insbesondere den assimilierten) und dem 1948 gegründeten Staat Israel bzw. den Kampf für dessen Existenz zitierte Schenk Marcel Prawy, der gesagt haben soll: "Wie komme ich dazu, als Wiener in die Wüste zu müssen?"

Zur Orthodoxie wiederum hat Schenk zwar keinen Zugang - weder als Kind noch danach - einfach aus dem Grund, da er "a-religiös" ist und ihm alles religiöse "peinlich" ist, egal ob katholisch, jüdisch oder sonst was. Allerdings empfand er das orthodoxe Judentum - die sichtbarste Form des Judentums auf den Straßen - als "entzückende schöne Farbe". Genau so empfindet er auch das (muslimische) Kopftuch als eine schöne Farbe, die eine Stadt bereichert.

Verzeihungssucht

Ein interessantes Thema, das sich vermutlich wie ein roter Faden durch alle Gespräche dieser Lehrveranstaltung ziehen wird, ist der "Fall Bruno Kreisky". Schenk und Landesmann kamen auf ihn bezüglich der "Verzeihungssucht" zu sprechen - eine Eigenschaft, die scheinbar viele Juden, die den Zweiten Weltkrieg überlebt hatten, hervor brachten: so auch Schenks Vater. Damit ist gemeint, dass man als Jude niemandem das selbe oder ähnliches Leid zufügen will, wie die Nazis den Juden. Den ehemaligen Nazis wird "verziehen". Vermutlich ist es aber wohl eher eine Art Verdrängungsmechanismus, um die grausame Zeit des Nationalsozialismus hinter sich liegen lassen zu können. Doch es war, so Schenk, eine "Verzeihungssucht, die manchmal zu weit ging". Als Beispiel nannte er eben Bruno Kreisky, der zwar aus einer jüdischen Familie stammte, aber fast demonstrativ ehemalige Nazis als Minister einsetzte und die Partei der Altnazis, die FPÖ, in die Regierung mitnahm. Auch bei der Restitution dürfte "Verzeihungssucht" mit im Spiel gewesen sein, sodass sich in vielen Fällen, bzw. insgesamt, viel zu lang viel zu wenig bewegte.

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