Dienstag, 12. Mai 2009

7. VO – 5. Mai 2009 – Paul Chaim Eisenberg

Paul Chaim Eisenberg ist seit 1983 Oberrabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) in Wien. Ursprünglich wollte Eisenberg Mathematiker werden, was er auch studierte, doch schließlich ging der Traum eines jeden Rabbiners in Erfüllung – ein Traum, den Bischöfe nicht haben können: Der Sohn wird Nachfolger. 35 Jahre lang, von 1948 bis zu seinem Tod 1983, war Paul Eisenbergs Vater, Akiba Eisenberg, Oberrabiner von Wien.

Wie bereits im Vergleich mit dem Bischof, den Eisenberg so gebracht hat (sinngemäß jedenfalls), angeklungen ist, witzelt er gerne. Stellt ihm jemand eine Frage, so holt er häufig erst einmal aus und erzählt eine Anekdote, die ihren Ursprung entweder in einem der heiligen Bücher, sonstigen Erzählungen oder Überlieferungen oder in persönlichen Erfahrungen oder Beobachtungen liegen. Manchmal tut es auch ein Witz, um den Fragesteller und die Zuhörer auf die Weisheit der folgenden Antwort vorzubereiten. Auch bei einem Interview in der Zeit im vergangenen Februar kam er nicht umhin, eine Frage erst mal mit einem Witz zu beantworten. Das ist einfach seine Art, was seine Anhänger auch sehr schätzen. Der Oberrabbiner, so Eisenberg, muss ja auch nicht der frömmste aller Juden einer Gemeinde sein, er muss nur mit allen mehr oder weniger gut auskommen. Humor ist da sicherlich eine hilfreiche Eigenschaft.



Aber die jüdische Gemeinde Wiens besteht ja nicht nur aus einem Oberrabbiner. Die IKG, die auf das Israelitengesetz von 1890 zurückgeht, ist ja im Grunde nur ein Konstrukt, um die verschiedenen jüdischen Glaubensrichtungen unter einem Dach zu halten – "damit der Kaiser seine Ruhe hat", vermutet Eisenberg – denn sonst wäre womöglich jeden Tag ein anderer Rabbi zu ihm gekommen, um über seine Sorgen zu klagen. Aber so gibt es ein Oberhaupt, das für alle sprechen kann – und interne Streitereien und Uneinigkeiten müssen auch intern geregelt werden.

Die jüdische Gemeinde Wiens, die offiziell nur rund 9.000 Personen umfasst (aber wie IKG-Präsident Muzicant unlängst verraten hat, sind es wohl eher 20.000) zählt daher etwa 10 Rabbiner und 16, 17 Synagogen – wobei Synagoge hier nicht zu bildhaft als großer, eigenständiger Sakralbau verstanden werden darf, sondern, mit Ausnahme des Stadttempels, Bethäuser oder Beträume meint (vgl. auch untenstehende Angaben laut Muzicant: 6 Rabbiner und 14, 15 Bethäuser). Eine Besonderheit Wiens sei, wie auch Muzicant bereits betont hatte, dass alle Strömungen des orthodoxen oder reformierten Judentums unter einem Dach organisiert sind und relativ gut miteinander auskommen. Einzige Ausnahme hierbei ist Or Hadash, eine dem Reformjudentum zuzuordnende, lediglich ein paar Hundert Mitglieder umfassende Gruppe, die sich der Aufgabe verschrieben hat, vom Glauben entfernte Juden wieder näher zur Religion zu bringen. Die Formen der Religionsausübung dürften hierbei wohl noch weiter von Vorstellungen der Orthodoxen entfernt sein, als bei anderen reformierten Gruppen. Jedenfalls haben fast alle anderen Gruppierungen innerhalb der IKG mit Austritt gedroht, sollte Or Hadash aufgenommen werden. Doch unter Eisenberg konnten sich alle auf einen Kompromiss einigen, sodass Or Hadash offiziell nicht der IKG angehört, doch ihre Mitglieder sehr wohl auch IKG-Mitglieder sind bzw. sein können, und die Gruppe auch im Mitteilungsorgan der Israelitischen Kultusgemeinde, der Gemeinde, wie alle anderen Gruppen ihren Platz für Ankündigungen und Mitteilungen hat, und sie benutzen einen Betraum, der ihnen von der IKG zur Verfügung gestellt wurde. Eine Spaltung der Gemeinde, wie dies in Budapest geschehen sei, konnte dadurch verhindert werden. Grundlage des Kompromisses, so Eisenberg: Jeder Jude ist Mitglied der Gemeinde – innerhalb welcher Gruppierungen, ist zweitrangig.

Es ging also vor allem um die jüdische Gemeinde Wiens und Ausprägungen des Judentums. Themen wie Bruno Kreisky oder Kurt Waldheim wurden nicht angesprochen. Wir erfuhren jedoch nocht etwas darüber, wie Vater Akiba den Nationalsozialismus überlebte. Er konnte sich, wie viele andere Juden, darunter auch Landesmann, in Budapest verstecken. Laut Eisenberg habe es in Budapest, dass ja erst sehr spät von den Nazis eingenommen wurde, viele Häuser gegeben, in denen man als Jude relativ sicher war – solange man diese Häuser nicht verlassen hat. Auf diese Weise hätten 60.000 bis 80.000 Juden überlebt – wurden aber in großer Zahl anschließend von den Sowjets nach Sibirien verschleppt. Auch Akiba Eisenberg wurde von den Russen gefasst und in eine Gruppe gesteckt, die vermutlich für den Transport nach Sibirien bestimmt war. Der Offizier war möglicherweise ebenfalls Jude – jedenfalls habe er Akiba aus der Gruppe entfernt, als dieser ihm sagte, er sei Rabbiner. Das war vermutlich seine Rettung.

Freitag, 1. Mai 2009

6. VO – 21. April 2009 – Oscar Bronner

Nach drei Wochen Osterpause kam Oscar Bronner als sechster Gast zu Peter Landesmann. Die allererste Frage lautete dann gleich, wie sein Name nun korrekt geschrieben werde – mit "k" oder mit "c". Mit 'c', da seine Geburt 1943 in Haifa noch in die Zeit des Völkerbundsmandates für Palästina fiel, das unter britischer Kontrolle stand. Weiters las Landesmann eine kurze Biografie Bronners aus der Wikipedia vor. Doch hier sollen prinzipiell nur jene Sachen erwähnt werden, die nicht bereits in der Wikipedia oder an anderen leicht zu findenden Stellen im Internet zu finden sind. Also kommen wir zu Bronners Jugend.

Kindheit und Familie

Bronners Eltern, der spätere Kabarettist Gerhard Bronner und seine spätere Frau, kannten einander bereits aus ihrer Jugend in Wien, die 1938 jedoch unterbrochen wurde. Als Gerhards Eltern von den Nazis verhaftet wurden, flüchtete er alleine zu Verwandten in die Slowakei. Dort verdiente er sich mit Gitarre spielen etwas Taschengeld, bevor er weiter nach Haifa floh. Dort traf er dann jenes Mädchen aus Wien wieder, das er bald heiratete (die beiden waren damals etwa 17, 18 Jahre alt) und deren erster Sohn, wenige Jahre später, Oscar war.

Bronner wuchs zuerst zweisprachig auf, da zuhause deutsch gesprochen wurde, im Kindergarten jedoch hebräisch (Ivrit). Als die Jungfamilie 1948 nach Wien zurückkehrte – vor allem Oscars Mutter wollte dies, um ihre Eltern, die in Shanghai überlebten, wiederzusehen – musste Oscar seine Deutschkenntnisse nachbessern. Also gaben ihm seine Eltern sozusagen privaten Förderunterricht, der so erfolgreich war, dass er danach kaum ein Wort hebräisch mehr konnte.

Als sein Vater einen Job beim deutschen Fernsehen in Hamburg bekam (das war so Ende 1952), übersiedelte die Familie dorthin. Oscar besuchte dort zwei Jahre die Schule, bis sich seine Eltern trennten. Er ging daraufhin fünf Jahre in Bonn, wo seine Mutter nun lebte, in die Schule. Dort war er ein guter Schüler, doch zurück in Österreich hatte er große schulische Schwierigkeiten. Er brach mit 17 die Schule ab, ging arbeiten, besuchte nebenbei auch Uni-Vorlesungen und holte die Matura als Externist nach.

Alles weitere zu seiner Biografie und Karriere, also seine Bekanntschaften mit Qualtinger und Torberg, seine Volontariate bei diversen Zeitungen usw. steht alles anderswo, auch auf einigen Webseiten, gut beschrieben (siehe auch Link am Ende dieses Postings) und wurde hier auch nur stichwortartig erwähnt.

Jüdische Identität

Antisemitische Erfahrungen hat Oscar in Wien nie gemacht. Vater Gerhard war areligiös eingestellt, seine Mutter bestand ebenfalls nicht auf eine religiöse Erziehung. Die Familie, in der er "hineingeboren wurde, war vollkommen areligiös." (Bronner) Also wusste Oscar in der Schule vermutlich genau so wenig wie die meisten seiner Schulkollegen, warum in seinem Zeugnis "mosaisch" stand und was das bedeuten solle. Dass er jüdisch ist, wurde Bronner erst schrittweise bewusst. Ein diesbezügliches Schlüsselerlebnis gab es nicht. Über Judentum, Politik, Palästina oder Israel wurde zuhause nie geredet, obwohl sich Vater Gerhard als Kabarettist zumindest mit der Politik intensiv beschäftigte. Was immer an mir jüdisch ist, mit Religion hat das nichts zu tun. (Bronner) Bronner fand erst später in seinem Leben zu "seinem Judentum" – wohl auch aufgrund seiner Heirat 1988 und den aus dieser Ehe hervorgegangenen zwei Kindern. Dadurch spielen jüdische Feiertage eine gewisse Rolle, aber "sonst nichts".

Zu Israel hat Bronner seit der Rückkehr mit seinen Eltern aus Haifa keine Beziehung mehr. Zur Politik könne er nur sagen, dass Israel "sehr vieles richtig" gemacht habe, und "sehr vieles falsch". Aber "auch die andere Seite hat vieles falsch gemacht".

Zu Kreisky

So, und nun wieder zu den Standards: Beginnen wir mit Kreisky (im Sinner der Chronologie der Befragung). Wie bereits einige der vorherigen Gäste hat auch Bronner persönlich mit Kreisky Bekanntschaft gemacht. Und auch bei ihm ist diese Bekanntschaft der Verwandschaft zu verdanken (wir erinnern uns: Georg Markus kannte Kreisky, weil seine Oma die Nachbarin von Kreiskys Mutter in Brünn war und mit der Familie befreundet war). Bei Bronner ist die Bekanntschaft weniger nachbarschaftlich, denn politisch begründet. Bronners Onkel, ein Oskar, den man vermutlich mit "k" geschrieben hat (da wie dessen Bruder Gerhard wohl in Wien und nicht in einem englisch verwalteten Gebiet geboren), war Sozialdemokrat und mit Bruno Kreisky befreundet.

Die Kreisky-Wiesenthal-Affäre hat Vater Gerhard, ebenfalls Sozialdemokrat, sehr geärgert. Oscar (mit "c") hatte zu dieser Zeit bereits den Profil gegründet, der die Ereignisse verfolgte und kritisierte. In der Vorlesung meinte Bronner: "da hat Kreisky sehr ungut agiert, sagen wir's mal so. [...] wobei Kreisky halt ein sehr komplexes Thema ist", da er ja auch areligiös, insbesondere als Sozialist bzw. Sozialdemokrat, eingestellt war. Die Ideologie dahinter sei eben, so Bronner (sinngemäß), dass die Basis für eine Antisemitismusfreie Welt die soziale Gerechtigkeit ist – Sozialismus statt Religion.

Warum Kreisky die Zusammenarbeit mit Friedrich Peter, dem FPÖ-Chef und ehemaligen Waffen-SS-Mitglied suchte, versucht Bronner mit folgenden Aussagen nachzuvollziehen: Kreisky war während des Austrofaschismus als Sozialist gemeinsam mit illegalen Nazis in Wöllersdorf interniert. Sozialisten und Nazis hatten damals einen gemeinsamen Feind: Die Christlichsozialen. Einer seiner damaligen Haftkollegen half Kreisky nach dem Anschluss 1938 als Nazi bei der Flucht aus Österreich. "Kreisky war halt ein Produkt dieser seltsamen Gemengenlage" (Bronner).

Zu Friedrich Peter wusste Landesmann zudem, dass dieser eher dem liberalen Flügel der Freiheitlichen, der auf die Revolution von 1848 zurückgeht, angehörte, und nicht dem deutschnationalen. Peter habe Landesmann außerdem erzählt, dass er "vom Antisemitismus geheilt" wurde, als er als US-Kriegsgefangener von einem jüdischen Offizier verhört und geohrfeigt wurde. Das habe ihm so imponiert und ihm ein Bild von einem "starken Juden" vermittelt, dass er so noch nie gesehen haben will. So habe er es zumindest Landesmann erzählt.

Zur FPÖ und Haider

Bezüglich den liberalen Wurzeln der FPÖ meinte Landesmann weiters, dass Norbert Steger versucht habe, die FPÖ zur liberalen Partei zu machen – vergleichbar der FDP in Deutschland – damit aber scheiterte und von Haider und dem deutschnationalen Flügel sozusagen "geputscht" wurde. Österreich habe einfach eine zu geringe liberale Tradition, weshalb auch Heide Schmidt, die ja aufgrund des "Putsches" des deutschnationalen Flügels aus der FPÖ austrat und das "Liberale Forum" gründete, sich in der österreichischen Parteienlandschaft nicht etablieren konnte.

Bei irgendeiner Veranstaltung, etwa um 1989/1990, als Haiders Aufstieg begann, hatte Bronner auch mal das "Vergnügen" mit Jörg Haider persönlich Bekanntschaft zu machen. Haider und seine "Buberlpartie" seien plötzlich zielstrebig auf Bronner zugekommen, sodass er nicht mehr habe ausweichen können. Sie gratulierten ihm zu seiner Zeitung (Der Standard wurde ja kurz zuvor, 1988, gegründet) und, geschickt wie Haider im Vereinnahmen von Menschen gewesen ist, habe er sogleich gemeint, er und Bronner hätten sehr viel gemeinsam, denn er, Haider, sei ein liberaler Politiker und Der Standard eine liberale Zeitung. Bronner entgegnete ihm, dass er ihm das nicht glaube, da er ganz andere Dinge von sich gebe, als dass sie auf eine liberale Grundhaltung schließen lassen würden. Haider versicherte daraufhin sofort, das seien Ausrutscher gewesen, rechte Aussagen seien Vergangenheit (und das um 1989/1990!), er werde jetzt liberale Politik betreiben. Bronner meinte wiederum, dass er ihm das nicht glaube. Es kam zu einer Wette, dass Haider nie wieder "rechte Ausrutscher" haben werde – falls doch, schuldet Haider Bronner eine Flasche Champagner. Was nach 1989/1990 noch alles aus Haiders Mund tönte ist hinreichend bekannt. Den Wettgewinn forderte Bronner jedoch nicht mehr ein.

Dass Haider sich als liberaler Politiker vorstellte, kommentiert Bronner damit, dass Haider halt "ein Chamäleon" war. Er wollte immer bei allen beliebt sein, zumindest bei seinen Gesprächspartnern. Er passt sich immer seinem Publikum an, wobei das halt besser mit "rechts" gehe, da er das von zuhause kennt.

Zu Waldheim

Bronner, sinngemäß: Waldheim war ein Opportunist, er war "zum Teil eine tragische Figur". Er wurde vom JWC (Jewish World Congress) mit falschen Vorwürfen konfrontiert, auf die er dann jedoch falsch reagiert habe. Nämlich in einer Weise, die das Unrecht gegen ihn wiederum rechtfertigte. Er war ein "schlichter Denker" und "hat bis zum Ende seines Lebens nicht erkannt", wie er für das Unrecht gegen ihn mitverantwortlich ist.

Wohl als Folge seines "schlichten Denkens" ist zu sehen, dass Waldheim auch zu Bronner Kontakt suchte, da Bronner ja Jude ist und somit wohl irgendwas mit dem JWC zu tun haben müsse.



Kritik am Standard

Eine Frage aus der Zuhörerschaft bezog sich auf Gudrun Harrer, die Nahost-Expertin des Standards. Diese werde ja von jüdischer Seite manchmal als einseitig, eher pro-arabisch und zu israelkritisch oder gar -feindlich bezeichnet. Bronner kann dies nicht nachvollziehen, er sieht keine Einseitigkeit. Harrer ist ausgewiesene Nahost-Expertin, spricht Ivrit und Arabisch und benutzt Quellen von beiden Seiten. Sie unterliege höchstens vielleicht manchmal dem Mechanismus, dass Israel als Demokratie Kritik zulässt, jedoch in arabischen Ländern aber auch in den palästinensischen Autonomiegebieten kaum Kritik und Opposition vorhanden oder möglich ist.

Auch auf einen weiteren Einwand, dass es doch auch bekannte palästinensische Kritiker außerhalb Israels/Palästina gebe, die in anderen Medien zu Wort kommen würden, im Standard jedoch nicht, kann Bronner nicht nachvollziehen. Substantielleres wurde zu diesen Punkten nicht gesagt.

Zum Weiterlesen:
- Sehr empfehlen kann ich folgenden Text aus dem Datum 10/08:
Klaus Stimeder, Eva Weissenberger Der Junge aus Haifa (Auszug aus der Bronner-Biografie Trotzdem)

Montag, 13. April 2009

5. VO – 31. März 2009 – Ariel Muzicant

Mit etwas Verspätung, aber noch deutlich vor dem nächsten Termin am 21. April, nun der Bericht vom Gespräch Landesmanns mit IKG Wien-Präsidenten Ariel Muzicant. Dass es so lange gedauert hat, liegt aber sicher auch an der Unmenge an Informationen, die Muzicant in diesem Gespräch liefern konnte.

Über Muzicant

Muzicant begann sich ab dem 6-Tage-Krieg in Israel, als er etwa 15 Jahre alt war, für das Judentum zu interessieren und befassen. Der Holocaust, die Shoa, war in seiner Familie sehr wohl Gesprächsthema. Vor allem seine zwei Onkel, die sich 1938 in Wien befanden, in der Folge nach Rumänien flohen, überlebten und zurückkehrten, erzählten ihm von ihren Erlebnissen. Auch seine Eltern, die durch Flucht überleben konnten (sein Vater floh sogar bis China), erzählten ihm davon.

In der Schule, er besuchte das Lycée Francais in Wien, da die IKG nach 1945 alle jüdischen Schulen geschlossen hatte, und das Lycée als wenig antisemitisch im Vergleich zu normalen staatlichen Schulen galt, war er ein sehr neugieriger, kritischer Schüler, vor allem im Geschichtsunterricht. Persönliche Erfahrungen mit Antisemiten hatte er sehr wohl. Er prügelte sich etwa mal mit Nazis auf der Uni-Rampe in Wien.

Als IKG-Präsident wurde bisher zwei Mal, jeweils einstimmig, gewählt. 2002 setzte er die Kultussteuer aus (abschaffen geht von Gesetzeswegen nicht), seither stieg die Zahl der Eintritte in die IKG. Wohlhabendere Mitglieder zahlen 11 Euro Beitrag pro Monat, die übrigen werden um freiwillige Spenden gebeten.

Bei der Volkszählung 2001 rief er zum Boykott der Religionsangabe auf, da diese seiner Ansicht nach genau so wenig "erhoben" werden braucht, wie etwa die Zahl der Slowenen in Kärnten, "um dann weniger Ortstafeln aufstellen zu müssen". Dennoch haben sich rund 8.000 Personen zum Judentum bekannt, etwa 10.000 bis 15.000 können laut Muzicant jedoch noch dazugezählt werden.

Jüdische Identität in Österreich

Ob man als Jude in Österreich nun Österreicher, Jude oder Israeli ist? – Das muss sich jeder selber mit sich ausmachen, so Muzicant. Er selbst sieht sich jedenfalls als Österreicher und Europäer, mit Israel als geistiger Heimat. "Allerdings", muss Muzicant relativierend klarstellen, "Antisemiten unterscheiden da eh nicht". Er bekam im Zuge des Gaza-Krieges "tonnenweise Hass-Briefe", obwohl er ja natürlich nichts für die Entwicklung in Israel und den palästinensischen Autonomiegebieten kann. Er äußerte sich hierzu im Grunde nur insofern, als dass das Existenzrecht Israels außer Frage stehe. Dieses Recht ist wesentlicher Bestandteil seiner jüdischen Identität. Und wenn jemand wegen diesem von Muzicant öffentlich kundgetanen Bekenntnis aus der IKG austritt – was laut Muzicant auch geschah – dann sei das auch "besser so", weil dann muss er so jemanden nicht mehr vertreten.

Entwicklung der IKG nach 1945

Die Geschichte der IKG nach 1945 teilt Muzicant in zwei Abschnitte ein: Zuerst jene Phase, in der die wieder entstandene Gemeinde nach 1945 eine Art Auflösungspolitik betrifft, mit dem Hintergedanken, dass es nie wieder jüdisches Leben in Österreich, respektive Wien, geben könne. Da es aber bekanntlich auch nach 1945 jüdisches Leben in Wien gab, und bei aller Auswanderung immer wieder auch Zuwanderer und Rückkehrer eintrafen, kam es zwangsläufig zu einem Generationenkonflikt. Dieser fand etwa in den 70er-Jahren statt und führte letztlich bei den IKG-Vorstandswahlen 1981 zu einem Paradigmenwechsel. Statt jüdische Einrichtungen aufzulösen und Grundstücke zu verkaufen (so geschehen mit unzähligen Liegenschaften ehemaliger Bethäuser und Synagogen, vgl. Bob Martens, Katharina Kohlmaier: Was geschah mit den Grundstücken, auf denen sich Synagogen in Wien befanden? In: DAVID, Nr. 59, 2003, S. 29–35; siehe ebenfalls: Wikipedia: Liste jüdischer Andachtstätten in Wien), wollte die neue Generation nun wieder jüdische Einrichtungen eröffnen und verbliebene Besitztümer bewahren. Das umfangreiche IKG-Archiv und jahrhundertealte Urkunden waren freilich bereits unwiderbringlich nach Israel gebracht worden.

Die Wende innerhalb der IKG brachte eine Entpolitisierung mit sich. Statt ein Spiegelbild der israelischen Parteienlandschaft abzugeben, wurde Sachpolitik in den Vordergründ gerückt. Parteizugehörigkeiten traten in den Hintergrund und spielen heute kaum oder gar keine Rolle mehr. Dennoch kann man sagen, dass die IKG politisch überwiegend links der Mitte angesiedelt ist. Was auch immer das nun konkret bedeuten mag – um einen Kindergarten zu bauen, ist es egal, ob man links, rechts oder in der Mitte steht – so Muzicant.

Jüdische Gemeinde Wiens im europäischen Vergleich

Was das Wiener Judentum vom restlichen Europa unterscheidet? Der Zusammenhalt! Reform- und orthodoxes Judentum befinden sich in Wien unter einem Dach, jenem der IKG. Die IKG fungiert als Dachgemeinschaft aller jüdischen Strömungen, die in Wien vorhanden sind – was sehr viele sind. Jede Gruppe hat weitestgehende Freiheit. Lediglich Angelegenheiten, die das gesamte Judentum betreffen, werden von der IKG gehandhabt. Etwa das Familienrecht, Eintritte usw., wofür Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg zuständig ist, der wiederum als "sehr konziliant" gilt. Auch das Budget liegt natürlich bei der IKG, und hier ist laut Muzicant auch der einzige nennenswerte Reibepunkt vorhanden: Denn letztendlich haben alle Gruppen das Gefühl, zu wenig Geld zu bekommen. Was die unterschiedlichen Ausprägungen der Wiener Juden, in politischer, ideologischer, religiöser Hinsicht und nach geographischer Herkunft betrifft, so mögen diese verschiedenen Gruppen zwar ihre Eigenheiten und Unterschiede haben, doch aufgrund der Freiheiten unter dem Dach der IKG stört dies letztlich nicht den Zusammenhalt als eine Gemeinde, versichert Muzicant. Und dass es eine vielfältige, lebendige Gemeinde ist, lässt sich etwa auch an der Tatsache erkennen, dass es 14, 15 Beträume und 6 Rabbiner in Wien gebe (Muzicant).

Dass es in Wien eine jüdische Gemeinde gibt, in der alle verschiedenen Gruppen, wovon Orthodoxie und Reformjudentum vermutlich die am weitesten auseinanderklaffenden Richtungen sind, die miteinander reden kann, die nicht in verschiedene Blöcke auseinandergebrochen ist, das ist, so Muzicant, in Europa längst keine Selbstverständlichkeit mehr. So gebe es in Deutschland "überall Konflikte" und "in der Schweiz reden sie nicht mal mehr miteinander". Das mit der Schweiz kann ich übrigens, zumindest in Bezug auf Zürich, bestätigen. Zwar nicht aus eigener Erfahrung, aber durch in der ICZ (Israelitische Cultusgemeinde Zürich, so schreibt sich die) involvierte Personen.

Auch die Frage zur Aktivität und Offenheit der IKG und der öffentlichen Wahrnehmung, etwa im europäischen Vergleich, gab es interessante Aussagen. So gab es aus dem Publikum widersprüchliche Meldungen: Zuerst jene einer zugezogenen Person, die findet, dass die IKG eher eine verschlossene Gemeinschaft ist (Was Muzicant natürlich bestritt und eine Reihe von Beispielen brachte). Daraufhin kam dann eine Meldung einer Österreicherin, die etwa 30 Jahre in Deutschland, sowohl im Norden, als auch im Süden, lebte, und die die Wiener IKG wesentlich offener als deutsche Gemeinschaften empfindet. Zudem würde in Österreich, was sie erstaunlich findet, viel mehr über die IKG und Veranstaltungen mit jüdischer Kultur, von denen es laut Muzicant etwa 300 im Jahr gebe, in den Medien berichtet. Wenn die IKG in Österreich eine Pressekonferenz gibt, dann kommen die Medien und berichten auch darüber - etwas, was in Deutschland offenbar weniger der Fall ist.

Zum Thema Restitution

Nach 1945 haben Juden in Österreich "nicht hart genug gekämpft und gefordert" und sind höchstens "als Bittsteller" aufgetreten. Doch das darf man ihnen nicht vorwerfen, haben sie doch gerade den Holocaust überlebt und waren dadurch "zutiefst traumatisiert", wollten "einfach nur leben" (Muzicant).

Viele Österreich heute würden aber nicht verstehen, warum die Restitution nach 1945 "kein Thema" war, aber in den letzten Jahren sehr stark (Landesmann). "Stimmt nicht" (Muzicant) - Die Restitution war von Anfang an ein Thema. Doch nachdem die USA weniger Druck auf Österreich ausübten, da der Kalte Krieg, die Auseinandersetzung mit der Sowjetunion, in den Vordergrund trat, ging die Sache nur schleppend oder gar nicht mehr voran. Viele Richter waren zudem ehemalige Nationalsozialisten, teilweise waren sie sogar selbst Ariseure (Muzicant). Dann war da auch die Nichtanerkennung der Zuständigkeit vonseiten Österreichs – das sich ja Jahrzehntelang als erstes Opfer Deutschlands, das keinerlei Verantwortung für die Ereignisse zwischen 1938 und 1945 trage, betrachtete (was die Republik Österreich allerdings nicht dazu bemüßigte, NS-Rechtssprüche in ihrer Gesamtheit als ungültig zu erklären, wie das etwa in anderen Ländern wie Dänemark geschah). Und ganz abgesehen von all dem: Jene Juden, die den Nationalsozialismus überlebten, taten dies nur in den wenigsten Fällen in Europa. Die meisten waren nach Nord- oder Südamerika geflohen, waren froh zu leben, und hatten natürlich kaum oder keine Ahnung über das Schicksal ihrer ehemaligen Besitztümer in Österreich. Sie bekamen ja auch keinerlei Information, Entschuldigung, Erklärung, Einladung oder sonst etwas vonseiten Österreichs. Restitution wurde als "Holschuld" betrachtet: Wer etwas zurückhaben will, muss nach Österreich und vor Ort den Rechtsweg bemühen. Da Juden bei der Flucht aus Österreich bekanntlich alles genommen wurde, insbesondere das Geld, kann man sich natürlich denken, dass nur wenige in den Jahren nach 1945 die finanzielle Kraft aufbringen konnten, in Österreich ein Gerichtsverfahren zu bemühen, was wiederum einiges an Mut erforderte, da die österreichische Rechtssprechung aus erwähnten Gründen für Juden sehr unvorteilhaft war.

Die Wende in den 90er-Jahren erfolgte im Zuge des Endes des Kalten Krieges. Viele Archive wurden geöffnet, Recherchen nach dem Schicksal von Raubkunst und anderen geraubtem Eigentum konnten leichter durchgeführt werden. Österreich hatte inzwischen eine gewisse Mitschuld am Nationalsozialismus akzeptiert, neue Informationstechnologien (Internet ab Mitte der 90er) erleichterten zunehmend die internationale Kommunikation und Zugang zu Quellen. Aus einigen Klagen entwickelte sich nun eine "Klagsflut", die aus den USA auf Österreich zukam. Aus diesem Druck heraus kam es 1998 zum Washingtoner Abkommen, in welchem sich Österreich zur Restitution verpflichtete. Die Rolle der IKG bei diesen Verhandlungen zwischen Österreich und den USA wurde übrigens zuerst nicht anerkannt. Erst nach einer Klage, die die IKG gewann, wurde sie als Verhandlungspartner mit Österreich und den USA zugelassen.

Insgesamt war und ist die österreichische Restitution dennoch dürftig. In der Regel werden nur 10 % des anerkannten Raubgutes restituiert, wobei grundsätzlich nie der tatsächliche Wert eines Gutes anerkannt wird. Als Beispiel nannte Muzicant ein Haus, das 10 Millionen Euro Wert ist. 6 Mio. € davon werden anerkannt, 600.000 € werden restituiert. Im Gegensatz dazu wurde wieder Dänemark genannt: 90 bis 95 % alles enteigneten Vermögens wurde dort restituiert, und zwar 1945.

So ergibt sich auch heute noch das Bild vom größten Raubzug der Geschichte, der 1938 bis 1945 im einstigen und heutigen Österreich stattfand. Auf damals 18 Milliarden Schilling wird der Umfang dieses Raubzuges geschätzt. Nimmt man als Beispiel die 63.000 Wohnungen, die ab 1938 in Wien "arisiert" wurden, und nimmt man für jede Wohnung eine Ablöse von heute realistischen 50.000 Euro an, so ergibt allein das etwa 3,1 Milliarden Euro.

Zur Waldheim-Affäre

Der Blick Muzicants auf Waldheim unterscheidet sich in einigen Punkten wesentlich von jenem von Georg Markus, jenem der bisherigen vier Gäste, der sich am ausführlichsten über Waldheim geäußert hatte. Während Markus die Waldheim-Affäre lieber nicht so "aufgebauscht" gesehen hätte, da diese "übetriebene" Anti-Waldheim-Kampagne schließlich auch antisemitische Ressentiments geschürt und rechten Politikern Zustrom gebracht hätte, ja sogar "die Straches von heute" ermöglicht hat, sieht Muzicant diese Geschichtsepoche fast komplett gegensätzlich.

Die Waldheim-Affäre war "das beste, was diesem Land passieren konnte", so Muzicant. Sie hat alte Krusten aufgebrochen und endlich eine Zivilgesellschaft in Österreich hervorgebracht. Eine große Gruppe von Menschen, die sich seither kritisch mit der österreichischen Vergangenheit befassen, war zumindest indirekt die Errungenschaft dieser Affäre. Dass durch das mediale Aufblasen der Affäre, samt US-Einreiseverbot für Waldheim, antisemitische, rechte Reaktionen hervorgerufen werden, ist natürlich nicht verwunderlich. Aber die Vorteile, die diese Affäre gebracht hat (Stichwort Zivilgesellschaft, kritisches Befassen mit der Vergangenheit) überwiegen die Nachteile, in Form rechter Reflexe, die ebenso diese Affäre begleiteten.

Waldheim erhielt sein Einreiseverbot im Übrigen nicht wegen seiner Zeit als Wehrmachtssoldat, sondern wegen seinem konsequenten Leugnen, das er so lang betrieb, bis alles bewiesen war. So etwas sein in den USA unverzeihlich. Dieser Mentalitätsunterschied zwischen den USA und Österreich, wo ja das Leugnen quasi Volkssport ist, habe natürlich auch das Seine zum Unverständnis der US-Kritik an Waldheim beigetragen.

Kreisky und Wiesenthal

Was gibts neues zu Kreisky? Nun ja - erneut Aussagen, die ein komplett konträres Bild zur etwas schöngezeichneten Version Markus' bringt. Kreisky habe so einen "intensiven Hass" auf seine jüdische Herkunft gehabt, die er nie überwunden hat (so Muzicant). Und zur Relativierung, Kreisky habe seine jüdische Herkunft doch nie geleugnet: Ja natürlich hat er das nicht, denn wie soll er das denn auch abstreiten (Muzicant, sinngemäß). Aber das ändert nichts daran, dass er ein "gestörtes Verhältnis zum Judentum" hatte. Und die Aussage, dass Juden ein "mieses Volk" seien (welche Markus ja als unwahr bezeichnete), habe Kreisky zweifellos gesagt, jedoch in einem bestimmten Bezug, nämlich als Antwort auf eine Aussage, in der Juden als Volk bezeichnet wurden: "Wenn die Juden ein Volk sind, dann ein mieses".

Im Zuge der Anschuldigen Kreiskys gegen Wiesenthal, er habe mit den Nazis kollaboriert (Kreisky-Peter-Wiesenthal-Affäre), woraufhin Wiesenthal Kreisky wegen übler Nachrede verklagte (dem ganzen voraus gegangen war übrigens die Aufdeckung der NS-Vergangenheit des Kreisky-Ministers Peter durch Wiesenthal), gab es, aus heutiger Sicht wohl eher unerwartet, viele (ältere) Stimmen in der IKG, die sich über Wiesenthal echauffierten. "Wie kann er das nur machen" (so Muzicant über die damalige Stimmung) - nämlich, dass Wiesenthal sich solche Konfrontationen gibt. Grund für diese Stimmung war eben die vor allem bei Kriegsüberlebenden vorherrschende Ansicht, man solle als Jude in Österreich einfach ruhig und unaufdringlich leben. Doch die jüngere Generation sah das eben anders - der Paradigmenwechsel, wie weiter oben beschrieben, kündigte sich an. Ihre Meinung war, dass man ohne eigenständige Position in Österreich keine Existenzberechtigung hat. Sich zu verstecken, ist der falsche Weg.

Es sei jedenfalls als großer Erfolg der IKG zu werten, dass sie bei jeder wichtigen Affäre (Kreisky, Waldheim) eine "klare Position" gehabt habe. Denn dadurch wird die IKG gehört, öffentlich wahr und ernst genommen. Das sei im übrigen auch eine Schwachstelle bei der bzw. den muslimischen Glaubensvertretungen, nämlich dass sie keine starke Führung, jedenfalls keine repräsentative Führung habe.

Unterschied zwischen jüdischer und muslimischer Integration und Glaubensvertretungen

Ein Beispiel für die im letzten Satz getroffene Aussage, nämlich der mangelhaften Organisation der muslimischen Glaubensvertretungen in Österreich, sei laut Muzicant die Religionslehrer-Debatte, die jüngst geführt wurde. Anlass war bekanntlich eine Umfrage eines muslimischen Studenten unter muslimischen Religionslehrern, bei der bei einem Viertel demokratiefeindliche Positionen festgestellt worden sein sollen. Die Studie wurde medial heftig diskutiert, teils auch angezweifelt. Forderungen nach einer Änderung der Gesetze bezüglich Religionslehrerausbildung wurden laut, jedoch vom zuständigen Bildungsministerium nicht wirklich ernst genommen. Als sich dann die IKG, Muzicant, zu Wort meldete, dass die Religionslehrerausbildung kein muslimisches, sondern ein generelles Problem in Österreich sei, habe er zunächst Verwunderung ausgelöst. Doch es sei auch bei jüdischen Religionslehrern oft so, dass sie kaum deutsch könnten und bei mangelhaft ausgearbeiteten Umfragen möglicherweise ebenfalls Antworten kämen, die mit der Demokratie in Konflikt stünden. Auch durch solche Positionen, die nicht bloß jüdische Interessen, sondern generell österreichische, betreffen, verschafft man sich Gehör.

In anderen Fällen treten muslimische Glaubensvertreter sogar aktiv an die IKG heran, um sie um Hilfe in religiös-politischen Debatten zu bitten. So gab es etwa Bedarf bei Regelungen für das religiöse Schächten, also speziellen, religiöse Gesetze beachtenden Schlachtmethoden (vollständiges ausbluten lassen, etc.). Aber auch das sei keine rein muslimische Frage gewesen und erst gemeinsam mit der IKG konnte man da mit der Politik zufriedenstellende Lösungen finden (mit Details kann ich hier leider nicht dienen; Muzicant erwähnte dies lediglich kurz als Beispiel). Jedenfalls scheint es Verbesserungsbedarf bei den muslimischen Glaubensvertretungen zu geben. Es gibt eine Reihe von Vertretungen, die unterschiedliche Positionen vertreten. Eine richtige Dachgemeinschaft, vergleichbar mit der IKG, gibt es trotz der staatlich anerkannten Islamischen Glaubensgemeinschaft unter Anas Schakfeh nicht. Diese hat nur wenige Tausend Mitglieder und wird von anderen islamischen Glaubensgemeinschaften in Österreich nicht als oberste Vertretung akzeptiert.

Schließlich noch zur Frage, wie es sein kann, dass in den letzten Jahrzehnten, als tausende Juden aus dem Osten, die kein Wort deutsch konnten, nach Wien kamen, bis heute zumeist bestens integriert sind und ihre Kinder vielfach Universitätsabschlüsse vorweisen, während dies bei muslimischen Zuwanderern nur viel seltener gelingt (es gibt Studien über Akademikerquoten, Schulabschlussquoten etc. nach Herkunft und Religion, die dies darstellen).

Muzicant hat "keine Ahnung" warum, er würde es selbst gern wissen. Es sei zwar ein Klischee, jüdische Gelehrsamkeit und so, aber er nehme es auch selbst oft war, etwa wenn ein Kind osteuropäischer Zuwanderer innert kürzester Zeit einen Doktortitel an der Wirtschaftsuniversität erwerben. Vielleicht liegt es daran, so Muzicant, dass es oft mehr Anreiz zum lernen und integrieren gibt. Möglicherweise gibt es "einen Druck, sich als jüdische Minderheit in der Mehrheitsgesellschaft zu behaupten, zu integrieren"

Sonntag, 22. März 2009

Exkurs: Socalled im Wiener Konzerthaus, 16. März 2009

Da es ganz gut - mehr oder weniger - zum Thema passt, folgender Exkurs: Der kanadische Musikproduzent und DJ Socalled, der sich in den letzten 10 Jahren einen Namen als Experte für das Samplen und Neu-Arrangieren alter jüdischer Musik, traditionellem hebräischen und jiddischen Liedgut, gepresst auf 50 bis 80 Jahre alten Schallplatten, die er tausendfach zuhause hortet, gemacht hat, absolvierte vergangene Woche sein meines Wissens nach zweites Konzert in Wien. Zumindest sein zweites innerhalb der letzten zwölf Monate - er trat bereits im Herbst 2008 am "Spot on Jiddischkeit"-Festival des Wiener Konzerthauses an einer ausverkauften Veranstaltung gemeinsam mit Klezmer-Legende, dem Klarinettisten David Krakauer auf.

Folgenden Text hab ich bereits vorverfasst, da ich mit dem Gedanken gespielt hab, irgendwen irgendwo zu fragen, ob er veröffentlicht werden kann. Mir war es dann aber zu blöd, bei allen Zeitungen und Zeitschriften anzurufen, nachdem ich schon beim Standard keine Antwort bekommen hab ;-) (man hat mir dort bei einem Hearing mal gesagt, ich soll mich doch melden, wenn ich was geschrieben hab - aber genau aus diesem Grund, der Ignorierung, schreib ich nie was "einfach so"); Eigentlich wollt ich den Text ohnehin gleich hier veröffentlichen - aber aus besagtem Grund hab ich noch ein bisschen gewartet. Also nur, damit ihr (ich weiß, ich spreche mit der Wand) wisst, warum sich oben einleitend geschriebenes gleich noch mal teilweise wiederholt (aber ich wollte es nicht überarbeiten, weil ich es so schön Zeitungs-mäßig cool und großspurig formuliert habe ;-):

Was herauskommt, wenn Jahrtausende alte jüdische Musiktradition auf jüngere Innovationen der Musikgeschichte wie Hip Hop und Drumcomputer trifft, führte Montagabend der kanadische DJ, Rapper, Musiker und Produzent socalled (eigentlich Josh Dolgin) dem Wiener Publikum im Konzerthaus vor Augen und Ohren. Gemeinsam mit drei weiteren Musikern (E-Bass und -Gitarre sowie Klarinette) und der Sängerin Katie Moore präsentierte er in einer etwa 90-minütigen Show einen Querschnitt seines vielfältigen Repertoirs: von Klezmer unplugged über moderne Variationen traditioneller Lieder (mit Rap und Hip Hop-Beats) bis hin zu völlig neuartigen Hip Hop-Stücken, die von hebräischen und jiddischen Gesangs-Samples sowie der Klarinette unterstützt werden. Socalled selbst singt, rappt, spielt Klavier und Akkordeon und bedient ständig hektisch den Drumcomputer, aus welchem Samples von bis zu 80 Jahre alten Platten, sowie einprogrammierte Funk- und Hip Hop Beats entweichen. Einen gewissen Bekanntheitsgrad in Österreich verdankt socalled dem Radiosender FM4, wo die Single “You are never alone” 2007 häufig gespielt wurde. Vermutlich ist deshalb Wien der einzige Abstecher von seiner gegenwärtigen Frankreich-Tournee. Bereits 2008 absolvierte er, in Begleitung des bekannten Klezmer-Klarinettisten David Kracauer, einen Auftritt am “spot on Jiddischkeit”-Festival im Wiener Konzerthaus. Auf ein baldiges Wiedersehen, gerne auch mit größerem Ensemble, ist zu hoffen.


Fehlt nur noch "herzlichst, ihr Michael Jeannée", gell? (warum schreibt man Jeannée eigentlich mit zwei e, wo er doch männlich ist? Oder schreibt man ihn eh Michael Jeanné?)

Weil das hier jedenfalls keine Zeitung ist - weder Krone noch Standard - bleibt sogar noch Platz für viele, viele, viele zusätzliche Guetzlis, die in so einem doofen Papier-Produkt eh nie Platz hätten: einziger Nachteil: keine Leser (außer du, du liebe Wand).

Guetzli Nummer 1: diese zwei wunderschönen Fotos in rührend-altehrwürdiger Steinzeit-Qualität, gemacht mit meinem uralt-gebraucht Handy, das außer dieser für damalige Verhältnisse hochauflösenden Bilder auch bereits SMS senden und empfangen kann:



Und Guetzli-Nummer 2: Folgendes, mindestens ebenso hochauflösendes, dazu aber auch noch akustisch ein wahrer Genuss, Video des Eröffnungsliedes: mit viel Fantasie kann man sich in das wunderbare Konzerterlebnis, diese kongeniale Vermischung herkömmlicher Instrumtente mit der zauberhaften Drum-Machine, hineinversetzen, auch wenn es leider eher wie eine Halluzination im Drogenrausch (vgl. Trainspotting) aussieht und sich auch so anhört:



eine akustisch und bildlich hingegen nahezu meisterhafte Version dieses Liedes findet sich übrigens als Video hier. Allerdings ist diese meiner Meinung nach übertrieben drum-lastig und nicht so ausgewogen wie in Wien.

3. VO - 17. März 2009 - Gideon Singer

Kindheit vor dem Nationalsozialismus

Dritter Gast bei Peter Landesmann war der Schauspieler Gideon Singer. 1926 in Brünn als Harry Singer geboren, wuchs er zweisprachig auf: mit seiner Mutter sprach er deutsch, mit seinem Vater tschechisch. In seiner Kindheit war er mehrmals in Wien, wo er seinen Onkel, der Operettentenor (wenn ich es richtig verstanden hab) war, besuchte. Jedenfalls weckten seine Wien-Besuche bei seinem Onkel sein Interesse für die Oper, weshalb er dann auch in Wien "Oper studieren" wollte, was seinem Stiefvater aber gründlich missfiel (den Teil, wie es vom Vater zum Stiefvater kam, hab ich leider verpasst oder er wurde nicht erwähnt); er wollte sodann weitere Wien-Besuche verhindern.

Flucht nach Palästina

1940 (laut Eigenaussage; und somit nicht 1941, wie etwa in der Wikipedia; 1940 wird auch durch andere Quellen unterstützt) floh er mit seiner Familie per Schiff nach Palästina, wo er sodann in ein Kinderheim gesteckt wurde (auch diesen Teil der Geschichte konnte ich nicht ganz nachvollziehen; allerdings gab es zB. in Zypern Internierungslager, wo "illegale" jüdische Flüchtlinge während des Zweiten Weltkriegs von den Briten samt Frauen und Kinder interniert wurden; auch im damaligen Völkerbundsmandat Palästina gab es offenbar Internierungslager für illegale Einreisende; Singer sagte jedenfalls, dass er in ein Kinderheim, dessen Name ich nicht identifizieren konnte (Alyat Anoah oder so?), gesteckt wurde;

Im Kinderheim nach seinem Namen gefragt, meinten die Betreuer sofort "Harry ist kein jüdischer Name". Er bekam eine Liste hebräischer Namen, die er zwar nicht lesen konnte, aber durch die er sich fleißig durchfragte. Als er einen neuen Vornamen für sich gefunden hätte - er hieß übersetzt sowas wie "Wolf" - meinten die Betreuerinnen jedoch, den Namen habe schon ein anderes Kind gewählt. Harrys zweite Wahl war dann Gideon. Seinen Nachnamen durfte er, obwohl sie den auch ändern wollten, letztlich behalten.

Jüdische Identität im Wandel

Auch bei Gideon Singer trifft man wieder auf jenes anfänglich distanzierte Verhältnis zum Judentum, wie es bereits in Otto Schenks oder Danielle Speras Elternhaus vorherrschte. Seinen Vater bezeichnet Singer als einen "Antisemiten" - also ein "jüdischer Nazi", wie Landesmann überspitzt scherzte. Der Bruder seiner Mutter war aber tatsächlich Nazi, so Singer. Mir ist allerdings nicht bekannt ob Singers ganze Familie jüdisch war, denn sonst wäre der Bruder seiner Mutter tatsächlich ein "jüdischer Nazi" gewesen. Jedenfalls gab uns Singer damit zu verstehen, wie es um die "jüdische Identität" in seiner Familie bestellt war. Sie war praktisch nicht vorhanden. Nach dem Anschluss bzw. der Annexion der Tschechoslowakei und der beginnenden Judenverfolgung habe sich Singer jedenfalls gewundert, dass er "auch Jude" ist. Im Gymnasium durften nun pro Klasse nur noch zwei Juden sitzen, ab 22 Uhr galt eine Ausgangssperre und andere Diskriminierungen wurden ab nun vom NS-Staat verordnet.

Als er gegen Kriegsende bzw. danach von der Shoa erfuhr, vom Tod vieler Verwandter, sei das für ihn angeblich kein großer Schock gewesen. Er sei noch zu jung gewesen, als dass ihm das besonders nahe hätte gehen können - möglicherweise kannte er, bis auf seinen Onkel und seine Cousine(n?) in Wien seine Verwandtschaft auch kaum, näheres hat er dazu jedenfalls nicht gesagt.

Neues Leben in Israel und "Rückkehr"/erneute Auswanderung nach Österreich

Singer lernte bald hebräisch und wuchs ins im Entstehen begriffene Israel hinein. Er kämpfte in "5 bis 6 Kriegen" - "nur?" (Landesmann) und wurde so zum Israeli, jedoch nicht religiös. Generell sei es für "europäische Juden" (gemeint sind wohl insbesondere die Assimilierten) schwer gewesen, sich in Israel zu integrieren: klimatisch, mental und insbesondere sprachlich.

Was hat dich dazu bewegt, Israel zu verlassen? (Landesmann)
"Ich habe Israel bis heute nicht verlassen" (Singer). Es habe sich einfach so ergeben, als er in den 70ern von Rolf Kutschera eingeladen wurde, in Wien aufzutreten. Er habe zwei Identitäten: eine israelische und eine österreichische, die laut Pass, wo immer noch "Harry Singer" steht, allerdings eine tschechische ist.

Judentum im Alltag

Wie bereits erwähnt, ist Singer nicht religiös. Er weiß nicht mal, ob in der IKG ist, also ob er jemals eingetreten ist (fragender Blick zu seiner Frau, die ebenfalls anwesend war). Falls ja, würde er aber trotzdem nicht austreten. Dennoch spielt seine jüdische Identität, die er gemessen an seinen bisherigen Aussagen vermutlich eher als israelische beschreiben würde, im Alltag immer wieder eine Rolle. Dass er immer wieder als Jude wahrgenommen und in so eine Schublade gesteckt wird, störe ihn allerdings nicht besonders. Er erzählte von einem Ereignis, ich glaube es war in Deutschland, wo er von einem anderen Theaterschaffenden mit den Worten "Gideon Singer, Jude" vorgestellt wurde. Es sei jedoch scherzhaft gemeint gewesen, derjenige sei ein naiver Mensch und Singer ihm deswegen nicht böse.

Als Singer während der Waldheim-Zeit einen Israel-Aufhalt absolvierte, habe man ihn dort gefragt, ob er sich denn in Österreich unbehelligt auf offener Straße bewegen könne.

Ob er Erfolg und Misserfolg auf sein jüdische Zugehörigkeit zurückführe? (Landesmann) - Nein, "diesen Komplex" habe er nicht, bzw. habe er ihn abgelegt. Lediglich beim Autofahren, wenn sich jemand vorbeidrängle oder ihm die Vorfahrt nehme, rege er sich auf, dass dies sicher ein Antisemit sei - aber natürlich nur zum Scherz. "Das einzige worunter ich wirklich leide, jeder möchte mir einen jüdischen Witz erzählen".

Ob es etwas geistig Verbindendes unter Juden gäbe? (Landesmann) - Ja, aber das dürfe man nicht überschätzen oder verallgemeinern (Singer). Hierzu muss ich übrigens noch eine Aussage Otto Schenks einbringen: Beim ersten Treffen der "Deutschen Jungschar", wo auch "Halbjuden" miteingezogen wurden, hatten sich alle in einem Raum auf die vorhandenen Sitzplätze zu setzen. Als es dann hieß, die "Halbjuden" sollen alle aufstehen, standen genau vier Personen, inklusive Schenk, auf, und alle saßen nebeneinander in der selben Reihe, obwohl sie sich noch nie zuvor gesehen hatten - erzählte ein sichtlich amüsierter Schenk am ersten Termin dieser Gesprächsreihe.

Befragt zu Antisemitismus, dem Nahost-Konflikt, Vergangenheitsbewältigung und ähnlichen "schweren" Themen wich Singer häufig aus. Er könne dazu nichts sagen, könne über solche Dinge nicht reden, habe dazu keine Meinung. Das brachte Landesmann dann auch zur Frage, ob er meine, dass ein Schlusstrich unter die NS-/Shoa-Vergangenheit gezogen werden sollte. In gewisser Weise ja, so Singer; zumindest persönlich setze er sich nicht weiter mit der Vergangenheit auseinander, er lest zum Beispiel keine Bücher diesbezüglich (aufgrund seines persönlichen Lebenslaufes meiner Meinung durchaus eine verständliche Einstellung - er hatte wohl schon mehr Auseinandersetzung mit dem Thema, als ihm vielleicht lieb war). Aber generell dürfe man die Ereignisse keinesfalls vergessen. Bei Fragen zu diesem Thema müsse man ihm jedenfalls zugute halten, dass es sein erstes Interview in dieser Art, wo es "über ihn" geht, sei.

Bezüglich der Situation in Israel hat er jedenfalls eine klare Einstellung: er "leidet" unter der "israelischen Innenpolitik" - "vor allem jetzt", wo "die Zionisten wieder am Ruder" sind.

Dienstag, 17. März 2009

2. VO - 10. März 2009 - Danielle Spera

Zweiter Gast der Gesprächsreihe bei Peter Landesmann war Danielle Spera, österreichweit bekannt als Sprecherin der Zeit im Bild (ZIB), der Hauptnachrichten des ORF-Fernsehens. Ihr Vater, der noch als Jugendlicher in der NS-Zeit verfolgt und unter anderem zu Zwangsarbeit verpflichtet wurde, schickte Danielle im Nachkriegsösterreich "zum Schutz" in eine katholische Schule. Ihre jüdische Identität hat sie deshalb aber nicht aufgegeben, wenngleich sie sich den Ausruf "Oh Gott" nicht mehr abgewöhnen konnte, was allerdings auch keinen Widerspruch zum jüdischen Verbot, den Namen Gottes auszusprechen, darstellt, da "Gott" ja nicht sein Name sei ;-)

In Speras Haushalt - sie ist mit dem Psychoanalytiker Martin Engelberg verheiratet und hat drei Kinder (vgl. Wiener Zeitung) - spielt die jüdische Religion und Tradition eine große Rolle. Jüdische Feiertage werden, mit Ausnahme des Sabbad, an dem mitunter gearbeitet werden "muss", grundsätzlich eingehalten, sie und ihr Mann besuchen wöchentlich die Schi'ur. Koscher wird zwar auch gegessen, aber nicht in der strengsten Auslegung. Auch eine Pessach-Küche habe sie nicht (zu Pessach muss das ganze Haus gründlichst geputzt werden, insbesondere die Küche, damit das essen auch wirklich "koscher für Pessach" ist), würde sie sich aber wünschen.

ORF antisemitisch?

Viel zu diskutieren gab es über die Berichterstattung des ORF, die mitunter als antisemitisch und/oder anti-israelisch kritisiert wird. Hierzu wusste Spera gleich mehrere Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit, die zum Teil auch für großen Wirbel in der Redaktion bzw. ORF-intern sorgten:

1) Die Berichterstattung über die Solidaritätskundgebung für Israel am Judenplatz anlässlich des Gaza-Krieges. Die Atmosphäre - es war finster, regnete (glaub ich) zeitweise sogar, die Stimmung (zumindest die, die von der Kamera vermittelt wurde) war eher gespannt bis aufgewühlt - diese Atmosphäre jedenfalls sei vom Berichterstatter bewusst gegen ein Interview in gemütlicher Kaffeehaus-Atmosphäre mit einem Vertreter der muslimischen Glaubensgemeinschaft ausgespielt worden, wo dieser seelenruhig seine Kritik an Israel ausbreiten konnte, etwa dass die Israelis die Palästinenser auslöschen wollen. Dies sorgte dann nicht nur für Proteste innerhalb des ORF, sondern auch seitens des israelischen Botschafters und führte letztlich zu einer Entschuldigung der ORF-Verantwortlichen.

2) Ebenfalls erwähnt wurde jener ZIB-Bericht vom 18. Dezember 2008, der auch mir damals, während des Gaza-Krieges, negativ aufgefallen ist (den Fall hab ich damals im Vergleich mit dem ARTE-Info-Kurzbericht punktgenau in meinem Blog nachgezeichnet, bitte hier nachlesen); Jedenfalls soll dieser voller selektiver Darstellung strotzende Bericht im Nachhinein für viel Wirbel in der Redaktion gesorgt haben, bis zur diplomatischen Ebene schaffte er es jedoch nicht.

Generell, so Spera, verfüge der ORF mit Ben Segenreich in Tel Aviv und Karim El-Gawhari in Kairo jedoch über ausgezeichnete Journalisten, die für eine ausgeglichene Berichterstattung von beiden Seiten des Nahostkonflikts sorgen.

Redaktionsinterne Ansprechpartner für jüdische oder israelische Themen gebe es jedenfalls mit Susanne Scholl, Joana Radzyner und einst mit Robert Hochner.

Was - meiner Meinung nach - letztlich bleibt, ist der Eindruck eines hinsichtlich der Nahost-Berichterstattung gespaltenen ORF - denn wie sonst soll man sich unseriöse Berichte mitten in den Hauptnachrichten erklären, während wenig später hervorragende Korrespondenten oder Moderatoren/Interviewer sich um Seriösität bemühen?

Profil, Kreisky

Kritik übte Spera auch an Profil-Herausgeber Christian Rainer, der Bundespräsident Heinz Fischer in einem Interview gefragt haben soll, ob "die Bilanz im Gaza-Krieg" (über 1000 Tote auf palästinensischer Seite und etwa ein Dutzend auf israelischer) nicht hätte "umgekehrt ausfallen sollen". Ob dies nun seine persönliche Einschätzung sei oder lediglich eine provokative Frage hätte sein sollen, um dem Bundespräsidenten nicht vielleicht eine ungeschickte Antwort entlocken zu können, sei dahingestellt. In beiden Fällen aber wohl kaum eine rühmliche Leistung eines Nachrichtenmagazin-Herausgebers. Die Provokation gegen Israel - dass quasi die ganze Welt nach seiner Pfeife tanze, Stichwort "Israel Lobby" - hatte ja bereits mit einem unübersehbaren Cover für Aufsehen gesorgt und auch in internationalen Blogs Resonanz gefunden.

Auch Kreisky wurde wieder angesprochen. Dieser habe durch seine vehemente Ablehnung des jüdischen - etwa inform der Zusammenarbeit mit ehemaligen Nationalsozialisten und der FPÖ sowie der Intrige gegen Simon Wiesenthal - für den "Kreisky-Effekt" gesorgt, der einen gewissen Antisemitismus auch bei Personen mit intellektueller Basis legitimiert habe.

Unter die Geschichte, insbesondere jene des Nationalsozialismus und der Shoa/Holocaust, dürfe jedenfalls kein Schlussstrich gesetzt werden, denn es wird ja immer noch geleugnet, sowohl von rechter Seite als mitunter auch von kirchlicher, wie die Causa um die Pius-Brüderschaft erst kürzlich wieder aufzeigte. Je weniger Zeitzeugen es gibt, um so wichtiger wird das Erinnern und Aufklären. Deshalb schreibt ihr Vater nun auch seine Erinnerungen aus seiner Jugendzeit im nationalsozialistischen Wien auf, damit die Enkelkinder an diesen Erinnerungen eines Tages teilhaben können.

Sonntag, 15. März 2009

1. VO - 3. März 2009 - Otto Schenk

Otto Schenk hat, was vielleicht der Mehrheit der Personen, die ihn als Schauspieler kennen, nicht bewusst ist, einen äußerst direkten Bezug zum Judentum. Zwar konnte er nicht viel über das "Judentum in Österreich heute" sagen, doch hatte er umsomehr über seine Zeit als Kind während des Nationalsozialismus zu erzählen - vielleicht auch der Grund dafür, ihn als ersten Gast der Gesprächsreihe zu Wort kommen zu lassen.

Kindheit

Otto Schenks Vater hatte vier jüdische Großeltern, weshalb er für die Nationalsozialisten als "Volljude" - wie Schenk selbst formulierte - galt. Zwar ließen sich die Eltern seines Vaters taufen, und auch Schenks Vater wurde nach seiner Geburt getauft, doch interessierten solche Tatsachen die Nazis vorstellbarerweise kaum bis gar nicht. Schenk hatte jedoch das Glück, eine "arische" - im Sinne der Nazi-Rassengesetze - Mutter zu haben. Zu diesem "Glück" soll übrigens seine Mutter gesagt haben, sie schäme sich, keine Jüdin zu sein - worauf der Vater natürlich entgegnete: "Bist du deppert? Ich würde alles dafür geben, keiner zu sein. Du bist meine Rettung!". Die Ehe von Otto Schenks Eltern galt nämlich - da bereits vor den Nazi-Gesetzen geschlossen - als "privilegierte Mischehe". Ja, sowas gabs offenbar wirklich. Was das sein soll, konnte ich mir jedenfalls erst nach Lesen dieses Wikipedia-Artikels erklären. Das führte dann zu äußerst obstrusen Verhältnissen: Sein Vater wurde zwar als "Jude" diskriminiert, jedoch drohte ihm keine Deportation. Er verlor seinen Job als Jurist und verdiente sich fortan schwarz etwas Zusatzeinkommen für die Familie. Des weiteren, so Schenk, hätten die "arischen" Freunde der Familie zu ihnen gehalten und sich auch weiterhin - privat - mit ihnen getroffen und sie unterstützt.

Schenk selbst habe bis zum Anschluss Österreichs gar nicht wahrgenommen, dass er jüdische Vorfahren oder gar jüdische Freunde hätte und in einem jüdischem Umfeld lebe. Doch nach dem Anschluss wurde ihm dies schmerzhaft vor Augen geführt: "alles verschwand". Otto Schenk nahm in seiner Kindheit übrigens auch Schwimmunterricht: Am Attersee bei einem gewissen Wertheimer - es muss sich wohl um jenen Wertheimer handeln, der auch Friedrich Torbergs Schwimmlehrer gewesen war. Denn auch dieser hatte einen Wertheimer im Salzkammergut als Schwimmlehrer, er dürfte äußerst bekannt und erfolgreich gewesen sein. Jedenfalls, hatte dieser eine große, blonde, wunderschöne Frau - die "perfekte Arierin",
so Schenk scherzend - bloß: sie war Jüdin.

Doch zurück nach Wien: Schenk durfte, wenn ich es richtig verstanden habe, nach einer Weile nicht mehr zur Schule gehen, da er als "Halbjude" galt, und allmählich entwickelte sich in Schenk ein "Stolz, Halbjude zu sein", da er in vielen Bereichen die selbe Diskriminierung zu erfahren hatte, wie "richtige" Juden auch. Schenk wurde Teil der jüdischen "Schicksalsgemeinschaft" - das ist sein Zugang zur "jüdischen Identität". Eines Tages wurde er auch zur "DJ", dem "Deutschen Jungvolk", eingezogen - denn auch "Halbjuden" wurden vorerst mitverpflichtet, dieser Unterorganisation der Hitlerjugend beizutreten. Dort haben er und die anderen "Mischlinge" dann aus Protest - schließlich wollten sie ja nicht zur DJ - "gejüdelt" (jene vom jiddischen abgeleitete Jargonsprache, die in Wien vor 1938 wohl jeder kannte und teils wohl auch imitieren konnte), auch bei den Liedern, die sie marschierend singen mussten - aber niemand hats gemerkt. Und den nichtjüdischen Sitznachbarn hat er dann und wann einen jüdischen Witz "philosemitisch" erzählt, worauf die sich "aus Antisemitismus" halb totgelacht haben.

Nach einer Weile war es den Nazis aber offenbar auch zu blöd, dass sie "Halbjuden" zur DJ verpflichten, und "verboten" diesen sodann die Teilnahme (nachdem sie sie zuvor verpflichtet hatten). Otto hatte sich mittlerweile mit einigen der DJlern halbwegs angefreundet, und sie baten ihn, da Schenk ein guter Läufer zu sein schien, bei ihnen zu bleiben, um mit ihnen an Wettbewerben teilzunehmen. Sie nahmen es ihm fast böse, dass er plötzlich nicht mehr kam - aber er durfte ja nicht. Und wenn sich die Wege von DJlern mal mit jenen Schenks kreuzten, meinten sie gar mit vollem ernst: na, du hasts gut.

Zur "jüdischen Identität", Standpunkte

Die Varianten der jüdischen Identität, oder genauer gesagt, jener Personen, die während des Nationalsozialismus als Juden galten, stellte Schenk wie folgt dar:

- religiöse und orthodoxe Juden
- assimilierte Juden
- jüdische Schicksalsgemeinde

Zu letzterem zählte Schenk - diese Zugehörigkeit, durch die Diskriminierung als "Mischling" entstanden, bewirkte bei ihm ein jüdisches Identitätsbewusstsein, ein "Stolz, Mischling zu sein" - Ähnlich wie auch bei seiner Mutter, die sich fast schämte, das tragische Glück zu haben, als einzige in der Familie nicht diskriminiert zu werden.

Ein paar schöne Aussagen fand Schenk bezüglich Wien, aber auch dem orthodoxen Judentum. Zu Wien: Hier kann jeder Wiener werden, egal welche Herkunft oder Religion man hat - man wird zum Wiener Juden, Wiener Türken usw. - jedenfalls wird man Wiener. Darauf ist Schenk stolz, nämlich als Wiener dazugehören zu können, zur Wiener Kraft als Stadt - denn "ohne das Fremde gibt es nix Eigenes" (Schenk im O-Ton)

Beispielhaft für das Verhältnis zwischen Wiener Juden (insbesondere den assimilierten) und dem 1948 gegründeten Staat Israel bzw. den Kampf für dessen Existenz zitierte Schenk Marcel Prawy, der gesagt haben soll: "Wie komme ich dazu, als Wiener in die Wüste zu müssen?"

Zur Orthodoxie wiederum hat Schenk zwar keinen Zugang - weder als Kind noch danach - einfach aus dem Grund, da er "a-religiös" ist und ihm alles religiöse "peinlich" ist, egal ob katholisch, jüdisch oder sonst was. Allerdings empfand er das orthodoxe Judentum - die sichtbarste Form des Judentums auf den Straßen - als "entzückende schöne Farbe". Genau so empfindet er auch das (muslimische) Kopftuch als eine schöne Farbe, die eine Stadt bereichert.

Verzeihungssucht

Ein interessantes Thema, das sich vermutlich wie ein roter Faden durch alle Gespräche dieser Lehrveranstaltung ziehen wird, ist der "Fall Bruno Kreisky". Schenk und Landesmann kamen auf ihn bezüglich der "Verzeihungssucht" zu sprechen - eine Eigenschaft, die scheinbar viele Juden, die den Zweiten Weltkrieg überlebt hatten, hervor brachten: so auch Schenks Vater. Damit ist gemeint, dass man als Jude niemandem das selbe oder ähnliches Leid zufügen will, wie die Nazis den Juden. Den ehemaligen Nazis wird "verziehen". Vermutlich ist es aber wohl eher eine Art Verdrängungsmechanismus, um die grausame Zeit des Nationalsozialismus hinter sich liegen lassen zu können. Doch es war, so Schenk, eine "Verzeihungssucht, die manchmal zu weit ging". Als Beispiel nannte er eben Bruno Kreisky, der zwar aus einer jüdischen Familie stammte, aber fast demonstrativ ehemalige Nazis als Minister einsetzte und die Partei der Altnazis, die FPÖ, in die Regierung mitnahm. Auch bei der Restitution dürfte "Verzeihungssucht" mit im Spiel gewesen sein, sodass sich in vielen Fällen, bzw. insgesamt, viel zu lang viel zu wenig bewegte.