Dienstag, 16. Juni 2009

11. VO – 9. Juni 2009 – Gabriel Lansky



Gabriel Lansky ist Anwalt in Wien, vertrat früher die SPÖ und vertritt seit einigen Jahren in die Israelitische Kultusgemeinde in rechtlichen Angelegenheiten. Zudem ist Lansky Präsident der österreichisch-israelischen Handelskammer.

Lanskys Eltern waren jeweils in zweiter Ehe, da beide ihre vorigen Ehepartner im KZ verloren hatten. Sie lebten nach 1945 in Prag und Jerusalem, kehrten aber 1953 nach Wien zurück.

Österreichische Verfassung, Rechtsrealität und Meinungsfreiheit

Österreich hat eine klare antifaschistische Verfassung, doch die Rechtsrealität sieht anders aus. "Die Lust der Behörden in dem Rechtsbereich sieht anders aus." Es bestehe eine "große Unlust", die Wertungen des Jahres 1947 (als ehemalige Nazis noch mit hohen Strafen verurteilt wurden) heute zu übernehmen. Der Strafrahmen für Wiederbetätigung beträgt eigentlich 10 bis 20 Jahre, doch selbst Honsik als "systematischer Rückfallstäter" bekam nur fünf Jahre, was nur bei "außerordentlichen Milderungsgründen" möglich wäre. Die Geschworenengerichte agieren zurückhaltend bei der Ausübung des Verbotsgesetzes.

Die Rücknahme des Verbotsgesetzes wäre jedenfalls "ein großer Fehler". "Natürlich ist das ein Eingriff in das Recht auf Meinungsfreiheit – allerdings: Artikel 10 der europäischen Menschenrechtskonvention gewährt dies unter dem Vorbehalt, dass die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Bewahrung der Demokratie Eingriffe gestattet." (vgl. Art. 10 MRK)

Wi(e)der die Kronen Zeitung

In den 90er-Jahren gab es einen Prozess der IKG gegen die Kronen Zeitung, wo Richard Nimmerrichter, besser bekannt als "Staberl", in einem Artikel etwas geschrieben hatte, was man wohl als die "Akutmachung eines latent vorhandenen Antisemitismus" bezeichnen könnte. Seit 2004 kann man das auch noch konkreter benennen: Staberl schrieb etwas in der Krone, was "antisemitische und rassistische Untertöne" hatte. Konkret war es ein Artikel, in welchem Staberl "Ausschwitz leugnete, ohne es in einem Wort zu erwähnen". Im Verlauf des Prozesses wurde eine Inhaltsanalyse des Artikels vorgenommen, jedoch extra von einem Linguisten, da mit anderen Methoden die zwischen den Zeilen steckende Nachricht nicht ermittelt hätte werden können. Dadurch konnte ein Verstoß gegen das Verbotsgesetz nachgewiesen werden, doch der Prozess endete in einem Vergleich unter der Auflage einer langen Geheimhaltungsfrist, die jedoch mittlerweile abgelaufen sein dürfte.

Der Prozess, wenn er auch im Vergleich endete, führte zu einer Änderung der Blattlinie der Krone, so Lansky. Mit etwas Verzögerung wurde Staberl in die Pension geschickt, antisemitische Untertöne dürften ein wenig zurückgefahren worden sein. Vgl. auch Georg Markus, der für die Krone schrieb, was er in einem antisemitischen Umfeld wohl nicht getan hätte.

Medien und Menschenrechte

Österreich ist das meistverurteilte Land wegen Verstößen gegen die Meinungsfreiheit am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EuGhfM), so Lansky. Das Schema ist folgendes: Ein Medium bezeichnet Rechte als neonazistisch, woraufhin Rechte klagen und gewinnen, denn "Kritik an Rechten wird bestraft", so scheint es jedenfalls. Viele Urteile werden in der Folge am EuGhfM aufgehoben.

Einer der bekanntesten Fälle in dieser Sache war einer, wo Lansky den österreichischen Journalisten und Mitarbeiter des Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands Karl Pfeifer vertrat. Diesem wurden für die heutige Zeit eigentlich unglaubliche Dinge vorgeworfen, nachdem er neonazistische Umtriebe eines deutschen Professors, der auch in Österreich publizierte, aufdeckte. Doch darauf möchte ich hier gar nicht näher eingehen, darüber gibt es in der Wikipedia das wichtigste nachzulesen, und in einem Dokumentar-Film über Pfeifers Leben ("Zwischen den Stühlen") kommt der Fall auch ausführlich zur Sprache. Pfeifer veröffentlicht übrigens noch heute in diversen Blogs, etwa auf juedische.at, wo er Beobachtungen der rechten Szene und über Antisemitismus und Antizionismus in Österreich (und anderswo) kundtut.

Der Anwalt der Gegenseite hieß Herbert Schaller, der regelmäßig Mandanten vertrtitt, denen Wiederbetätigung oder Verstöße gegen das Verbotsgesetz vorgeworfen werden, aber auch die FPÖ und ihre Mitglieder. Sein bekanntest Klient der jüngeren Vergangenheit: David Irving. Der Richter in diesem Fall, der Pfeifer in Österreich Recht absprach bzw. schuldig sprach, hieß Maurer. Dieser, der immer wieder in vergleichbaren Fällen vergleichbare Urteile gefällt hat, wurde unter Justizminister Böhmdörfer (FPÖ, in der Schüssel-Regierung) befördert. Lansky verbindet mit Maurer jedenfalls eine "lange Liebesbeziehung", wie er meint.

Waldheim und SPÖ

Während der Waldheim-Affäre hat die SPÖ durchaus Interesse daran gehabt, dass die Aufdeckungen über Waldheim öffentlich werden und Waldheim im Präsidentschaftswahlkampf schädigen. So habe die SPÖ dem JWC auch Informationen weitergeleitet. Doch öffentlich haben SPÖ-Politiker stets geleugnet, irgendwas mit der Waldheim-Affäre zu tun zu haben. Als sie die ÖVP auf Unterlassung klagten, ihr derartiges zu unterstellen, begingen diese SPÖ-Leute aber einen schweren Fehler. Sie behaupteten auch vor Gericht, unter Eid, weiterhin, nichts mit der Waldheim-Affäre zu tun zu haben, wurden aber letztlich überführt und acht SPÖ-Leute, so Lansky, wegen Falschaussage verurteilt. Sie hätten einfach zugeben sollen, dass sie Waldheim nicht als Präsident haben wollen. Aber das sei eben ein "typisches SPÖ-Problem", dass sie nicht klar sagen, wie zu einem Thema stehen, und stattdessen "herumwurschteln".

Wie man gegen Neonazi-Partys vorgehen kann

Ein außergewöhnlicher Fall Lanskys war jener, wo Neonazis in einem von ihnen gekauften Haus am Landstraßer Gürtel Nr. 19 (gehört mittlerweile wieder jemand anderem) wilde Feiern abhielten und auch Nazi-Parolen auf Transparenten aus dem Fenster hängten. In dem Haus befanden sich jedoch auch andere Mieter, die sich durch diese Feiern gestört und auch bedroht fühlten. Doch irgendwie gab es keine einfache Möglichkeit, dagegen vorzugehen. Als einer der Bewohner Lansky als Anwalt nahm und ihn in das Haus bat, kam es sogar zu folgender Szene: Staatspolizisten vor dem Haus verweigerten Lansky den Zutritt, obwohl er sich als Anwalt eines Bewohners ausweisen konnte und oben aus dem Fenster sein Klient auf die Straße schrie, er solle raufkommen. Die Begrüngung, warum er nicht reindürfe, war, dass es zu "seiner eigenen Sicherheit" sei. Er verlangte nun, dass sie ihm das schriftlich geben, was er dann auch bekam. Er hatte nun also schwarz auf weiß, dass die Staatspolizei es für sicherheitsgefährdend hielt, das Haus zu betreten, wenn Neonazis darin ihre Feiern halten. Damit in den Händen konnte Lansky im Namen der Mieter des Hauses den Vermieter auf Unterlassung derartiger Aktivitäten klagen. Die Mieter bekamen nun das Exekutionsrecht gegen ihre Vermieter, "die Umsetzung des Verbotsgesetzes wurde von der Polizei in die Hände der Mieter gelegt", das sei einmalig in Österreich. Die Neonazis konnten also nicht mehr viel tun in diesem Haus, um ihrem Neonazismus Ausdruck zu verleihen, und verkauften das Haus wieder.

Situation in Österreich

Wie sieht Lansky die Situation in Österreich bezüglich Rasissmus, Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus? Es gibt eine "dumpfe Ausländerfeindlichkeit", eine "dumpfe faschistische Grundstimmung". Das sei eine "echte Gefahr, wenn Krise stärker wird", es gibt ein "enormes faschistisches Potential", das sich "primär gegen Moslems und Türken richten" wird und "antisemitisches Gerülpse als Nebenprodukt abgeben" wird.

In Deutschland sei es eine völlig andere Situation. Da gibt es "Hardcore-Nazis" und eine "organisierte Neonazi-Szene", dafür aber "keine breite faschistische Grundstimmung".

Und wie stehen Rechtsextreme zu Israel? "Auch bei österreichischen Rechtsextremen gibt es eine Bereitschaft, anzuerkennen was der israelische Staat geleistet hat" (was an der Begeisterung für militärische Stärke liege), Zusatz: "was sie mir um nichts sympathischer macht". Israel spiele jedenfalls kaum eine Rolle bei österreichischen Antisemiten, die richten sich eher gegen die jüdische Bevölkerung, die integriert ist sowie gegen das "Weltjudentum", "jüdische Kapitalisten" usw.

10. VO – 26. Mai 2009 – Doron Rabinovici



Doron Rabinovici war der zehnte Gesprächsgast Landesmanns.

Familiäre Herkunft

Rabinovicis Vater, der aus Rumänien stammte, aber in Wien lebte, floh während des Nationalsozialismus (mit einem Zertifikat, also legal) aus Österreich nach Palästina, die Mutter, die zwar in Paris geboren wurde, aber litauische Wurzeln hatte, kehrte nach Vilna zurück (die Beiden kannten sich damals noch nicht, Doron wurde ja erst 1961 geboren).

Litauen, und damit auch die Hauptstadt Vilna, die über einen großen jüdischen Bevölkerungsanteil verfügte und ein Zentrum jiddischer Kultur im Osten war, wurde jedoch während des Kriegs von den Nazis eingenommen, die jüdische Bevölkerung kam zu einem großen Teil ums Leben. Nicht so jedoch Rabinovicis Mutter. Sie entging ihrem Tod mehrmals durch unglaubliches Glück. Zuerst weigerte sie sich, an einem Marsch, der offensichtlich in den Tod führte, teilzunehmen. Sie blieb gemeinsam mit drei anderen Frauen zurück und hätte erschossen werden sollen. Doch der Soldat, der dies tun hätte sollen, war alleine und führte den Befehl nicht aus. Es geschah dies offenbar bereits in den letzten Momenten vor dem sowjetischen Einmarsch, da der Soldat und die drei Frauen bei der Befreiung noch immer zusammen waren. Als die Sowjets seine deutsche Uniform sahen, wurde er augenblicklich erschossen, die Frauen entkamen. Nun war ihr Leben abermals vom Tode bedroht – irgendwo in Polen gestrandet, drohte ihnen nun das verhungern, da ihnen die Dorfbevölkerungen ihre Hilfe verweigerten. Ausgerechnet sowjetische Soldaten bemerkten ihr Leid und zwangen die Dorfbevölkerung durch Bedrohung, sich um die Frauen zu kümmern – andernfalls würde etwas geschehen, wenn die Soldaten das nächste Mal das Dorf passieren, und die Frauen nicht mehr am Leben seien – so erzählte Doron Rabinovici.

Anfang der 50er-Jahre emigrierte Dorons Mutter schließlich nach Israel, wo sie dann ihren zukünftigen Mann und Vater Dorons kennen gelernt haben dürfte.

Einwanderung bzw. Rückkehr nach Österreich

1961 kam Doron Rabinovici in Tel Aviv zur Welt. Drei Jahre später entschloss sich die junge Familie, Israel zu verlassen – natürlich nur "vorübergehend". Offenbar kam für die (vorübergehende) Auswanderung nur ein deutschsprachiges Land infrage, denn da für die Mutter Deutschland als (ehemaliger) "Nazi-Staat" nicht infrage kam, fiel die zweite Wahl auf Österreich, das man, wie Österreich sich selbst auch, eher als Opfer des Nationalsozialismus denn als Mittäter betrachtete.

Die Übersiedelung nach Wien 1964 erfolgte nach dem Murer-Prozess, bei dem Rabinovicis Mutter als Zeugin vorgesehen war. Franz Murer war ein österreichischer Nationalsozialist und Kriegsverbrecher, der als "Schlächter von Vilna" bekannt wurde, da er für die Beseititung der jüdischen Bevölkerung Vilnas, der Heimatstadt Dorons Familie mütterlicherseits, zuständig war. Murer lebte, nachdem ihn die Sowjetunion, wo er zu Zwangsarbeit verurteilt wurde, an Österreich ausgeliefert hatte, in der Steiermark, wo er als ÖVP-Politiker auf Bezirksebene rasch eine neue Karriere machte. 1962 kam es auf Bemühen Simon Wiesenthals dann doch noch zu einem Prozess in Österreich gegen Murer, der das gesamte österreichische Justizsystem der Lächerlichkeit preisgab. Die gesamte Familie Murer verhöhnte vor Gericht die Opfer und Zeugen, geduldet und unterstützt vom Gericht, dass die Glaubwürdigkeit der Zeugen dadurch anzweifelte, dass im unmittelbaren Moment, in dem Murer jemanden aus nächster Nähe mit Kopfschuss getötet hat, die Zeugen die Augen kurz schlossen – es kam natürlich zu einem Freispruch, wie in fast allen Prozessen gegen Kriegsverbrecher in Österreich nach 1947. Der Murer-Prozess, so Rabinovici, hat ihn über Schilderungen seiner Mutter "durchaus geprägt".

Der eigentliche Grund für die "vorübergehende" Auswanderung nach Österreich war allerdings das Import-/Export-Geschäft des Vaters – Wien schien dafür bestens geeignet, und in unglobalisierten Zeiten ohne Internet, Handys und freien Handel, wie ihn die EU später ermöglichte, waren persönliche Kontakte für den Handel, der durch den eisernen Vorhang und die Ost-West-Grenzen zusätzlich erschwert wurde, unabdingbare Voraussetzungen für ein erfolgreiches Unternehmertum im Import- und Exportgeschäft. Diese Voraussetzungen brachte Vater Rabinocivi mit, und das Geschäft lief gut. So gut, dass man nach zwei Jahren meinte, man bleibe doch noch eine Weile, damit der Junge hier noch seine Matura abschließen kann. Eine Rückkehr war aber nach wie vor vorgesehen, denn die Ansicht, dass man als Jude nicht in Österreich leben könne, war auch bei den Rabinovicis vertreten. Die Zeit verging jedoch wie im Flug, und die Familie schlug allmählich Wurzeln in Österreich.

Jugend und Politisierung

Zuhause wurde viel über Politik und Israel gesprochen. So wurde Rabinovici früh politisiert. Er wurde Mitglied bei Hashomer Hatzair, der zionistisch-sozialistischen Jugendbewegung, die damals auch ein "unglaublich künstlerischer Ort" gewesen sei – man hat dort viel gezeichnet, viel geschrieben. Politisch sah der Shomer vor, dass der Klassenkampf für Juden nur in einem eigenen jüdischen Staat möglich und anstrebenswert sei, da in anderen, nicht-jüdischen Gesellschaften, die Arbeiterklasse antisemitisch eingestellt sei und eine Verbündung daher nicht möglich sei. Dies traf auf Österreich nach 1945 auch eindeutig zu. In den 70ern, Rabinovicis Jugend, war es für linke Juden nicht möglich, Teil der linken Szene Österreichs zu sein. Und in den 80ern, bei einer Demonstration gegen den Rechtsextremisten Norbert Burger, wurden die Shomerniks, die mit einer israelisch-zionistischen Fahne an der Demo teilnahmen, von Josef Cap persönlich (damals Vorsitzender der sozialistischen Jugend) gebeten, die Fahne wegzunehmen. Als einige der Mitglieder sich jedoch weigerten, und zumindest am hinteren Ende des Demozuges mit der Fahne gehen wollten, wurde dem Träger der Fahne am Weg dorthin, als er bei den Maoisten vorbeikam, die Fahne aus der Hand gerissen, ihm auf den Rücken geschlagen und dann zerrissen. Für viele Linke galt damals, wie zum Teil sicher auch noch heute, dass Zionismus Rassismus sei, wegen den Folgen, die Zionismus für die Palästinenser hat. So weit die Ausführungen Rabinovicis über diese Zeit, denen er noch hinzufügt, dass der Shomer schon damals für Rechte für die Palästinenser eingetreten sei und eine Zwei-Staaten-Lösung befürwortete.

Weiters wurde Rabinovici von Landesmann auf den Zionismus angesprochen, wie es denn mit dem Zionismus in Israel aussehe. Es folgte eine Ausführung darüber, wie die zionistische Rechte in Israel an Macht gewann, und was sie von anderen zionistischen Richtungen unterscheidet. Etwa, dass sich rechte Zionisten selbst als "Revisionisten" bezeichnen und dass sie vor allem nach 1967, nach dem 6-Tage-Krieg, stark an Popularität gewonnen hätten. Näher möchte ich darauf aber nicht eingehen, da dies weder mit Rabinovici noch mit Österreich zu tun hat; am ehesten dienen diese Informationen noch zur Abgrenzung des rechten Zionisus von jenem linken Zionismus der Shomer.

Auch die Wiener IKG war kurz Gesprächsthema – doch darüber hat uns Ariel Muzicant bereits ausführlich informiert, über die Abkehr von der Parteipolitik in den 80ern hin zu einer pragmatischen Politik. Rabinovivici meinte ebenfalls, dass das rechte zionistische Lager in Wien "verbürgerlicht" und weniger radikal als früher sei, sowie dass die IKG-Politik insgesamt weniger ideologisch, denn pragmatisch geworden sei.

Bedeutung Waldheims für die jüdische Identität in Österreich

Obwohl die Familie ja bereits um viele Jahre länger in Wien geblieben war, als ursprünglich geplant, übernahm auch Doron Rabinovici die Ansicht seiner Eltern, dass man früher oder später nach Israel zurückkehren werde. Die Atmosphäre in Österreich war ja nach wie vor jene, dass man sich der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit verweigerte und sich weiterhin als "erstes Opfer Hitlers" stilisierte. Antisemitismus war, wie ja auch Rabinovici zu berichten wusste, selbst bei den Linken salonfähig. Insgesamt jedenfalls keine einfachen Rahmenbedingungen, um sich als Jude mit Österreich zu identifizieren. Doch dann, so Rabinovici, "passierte etwas ganz merkwürdiges" : Die Waldheim-Affäre erfasste die gesamte österreichische Gesellschaft: plötzlich wurde diskutiert: War Österreich wirklich das erste Opfer? Waren 1938 wirklich alle für den "Anschluss"? Trägt Österreich Mitschuld am Nationalsozialismus bzw. am Holocaust? Wie sieht es heute mit dem Antisemitismus hierzulande aus?

Dem zuvor ging 1965 auf der Wiener Wirtschaftsuniversität die Auseinandersetzungen um Professor Taras Borodajkewycz, der durch offen antisemitischen Unterricht für Aufsehen sorgte. Das Unterrichtsministerium weigerte sich, diesen Vorwürfen nachzugehen oder Borodajkewycz gar zu entlassen, also kam es zu Demonstrationen, in dessen Verlauf der Antifaschist Ernst Kirchweger von einem Mitglied des Rings Freiheitlicher Studenten erschlagen wurde. Dieser gewaltsame Tod, der das erste politische Todesopfer der zweiten Republik darstellt, sorgte für Aufsehen in der österreichischen Gesellschaft und sorgte für Umdenken und Sensibilisierung bei Teilen der Bevölkerung.

Auch in anderen Ländern befasste man sich in dieser Ära vermehrt mit der kritischen Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit: Die Rolle der Résistance und des Vichy-Regimes in Frankreich, die Verantwortung der Schweiz mit ihrer restriktiven Visa-Politik und den fragwürdigen Geschäften der Banken – und in Österreich war eben die Rolle Waldheims als Mitglied einer SS-Reiterstaffel am Balkan der Anlass, die Öffentlichkeit zur Beschäftigung und Aufarbeitung mit der österreichischen NS-Vergangenheit zu zwingen. Jede/r musste Farbe bekennen: Ist man für oder gegen Waldheim? Warum? Warum nicht? – schließlich waren Wahlen, die Affäre und die politischen Kampagnen der zur Wahl stehenden drehten sich um dieses Thema. Die ÖVP entschied sich, nicht nachzugeben, und plakatierte mit "Jetzt erst recht!". Die Kronen Zeitung, nie verlegen um politische Einflussnahme, lancierte ebenfalls eine Kampagne zur Unterstützung Waldheims und argumentierte wie Waldheim, dass das ganze eine Art Verschwörung des World Jewish Congress sei (WJC) (auf die Rolle der Krone bei der Wahl Waldheims wies nicht nur Rabinovici hin, auch aktuell, da Dichand die beiden Prölls als Bundeskanzler und Bundespräsident wünscht, weist etwa Standard-Chefredakteurin Föderl-Schmid auf frühere Einflussnahmen der Krone hin: "Ohne Dichands Unterstützung wäre Kurt Waldheimt ('jetzt erst recht') nicht Bundespräsident geworden und hätte Jörg Haider nicht diese Wirkung in Österreich entfalten können" Kommentar v. A. Föderl-Schmid, Der Standard, SA/SO, 20./21. Juni 2009, S. 36)

Es formierten sich Protestgruppen, und bisher getrennt voneinander agierende linke Gruppierungen, die schon gegen Murer protestiert hatten, fanden durch den gemeinsamen "Gegner" näher zueinander. Waldheims Aussage, "Ich habe nur meine Pflicht getan" – eine Aussage, die, so Rabinovici, "noch vor kurzem unbemerkt stattgefunden hätte" – sorgte plötzlich für Aufsehen.

Und im Zuge all dieser Veränderungen, des Aufbrechens von Krusten, fand auch Rabinovici seinen Platz in der österreichischen Gesellschaft: "Kurt Waldheim machte mich zum Österreicher!"

Nachwirkung der Waldheim-Affäre

Die Folgen der Waldheim-Affäre waren nicht nur positiv, wie man aufgrund der Bewusstseinsbildung und ernsthafteren Bemühungen um die Vergangenheitsbewältigung und Aufklärung annehmen könnte. Diese Zwiespältigkeit wurde auch schon von einzelnen anderen Teilnehmern an dieser Gesprächsreihe dargestellt. So fand auch Rabinovici, dass dieser große Konflikt zwischen links und rechts rund um Waldheim letztlich den Aufstieg eines Jörg Haider gefördert habe, dass die FPÖ dadurch radikaler wurde.

Über Kreisky

An den Wahlkampf zwischen Bruno Kreisky und Josef Klaus denkend, fällt Rabinovici ein, dass Klaus mit "ein echter Österreicher" plakatierte, insinuierend, Kreisky sei kein "echter Österreicher". Das Judentum, bzw. das Ansprechen antisemitischer Gedanken in den Köpfen der Österreicher, spielte bei dieser Wahl also eine sehr bewusste Rolle. Dass Kreisky dennoch gewann, obwohl die ÖVP ihn indirekt ja als "unechten Österreicher" diffamierte und Antisemitismus in Österreich, wie vielfach belegt ist, damals (und vermutlich, vielleicht in etwas geringerem Ausmaß auch noch heute) salonfähig und gesellschaftlich "anerkannt" war, brachte Landesmann zu der Frage an Rabinovici, wieso Kreisky dann seiner Meinung nach "als Jude" dennoch gewählt werden konnte. Rabinovici: "Er war ein überragender, wunderbarer Außenminister", ein "sehr guter sozialdemokratischer Politiker". Auch Antisemiten konnten Kreisky wählen, da er antisemitisch agierte. Er transportierte offenbar, so Rabinovici, ebenfalls die Vorstellung, dass Österreich dass erste Opfer Nazi-Deutschlands gewesen sei, womit er, in Verknüpfung mit dem Bewusstsein in der Bevölkerung, dass er Jude ist, folgenden Gedankensprung bei den (antisemitischen) Rezipienten erzeugte: "Er muss es ja wissen" (als Österreicher und Jude Österreich als erstes Opfer NS-Deutschlands zu betrachten).

Folgende weitere Beispiele über Kreiskys Umgang mit seiner jüdischen Identität brachte Rabinovici:
- Bei einem Treffen mit Israelis (ich weiß nicht mehr genau, was für ein Treffen das war, vermutlich mit Regierungsvertretern, Botschafter usw.) soll Kreisky gleich zu Beginn "klar gestellt" haben: "1., dass das klar ist, ich bin kein Jude, völkisch gesehen. Juden sind kein Volk" (vermutlich nicht wortwörtlich, aber sinngemäß). Ein deutscher sozialdemokratischer Politiker soll darauf geantwortet haben (wieder sinngemäß, so wie es Rabinovici wiedergegeben hat): "Ok, ich nehme zur Kenntnis, dass Juden kein Volk sind – aber wenn ich gefragt werde, wer der größte jüdische Politiker ist, sage ich Kreisky" Dem wollte Kreisky natürlich nicht widersprechen, und so reagierte, wie es offenbar in vielen Situationen, bei vielen Gelegenheiten Kreiskys Art war, mit einem Witz (vgl. Erich Lessing, der Kreisky persönlich kannte und ihn als "sehr guten Witzeerzähler" bezeichnete). Diesen Witz konnte ich natürlich nicht Wort für Wort mitschreiben, und er wird hier schriftlich sicher nicht dieselbe Wirkung entfalten, als wenn ihn Kreisky erzählt hätte oder Rabinovici, der diesen Witz ja wiedergegeben hat, erzählt, aber sinngemäß soll er hier natürlich trotzdem erwähnt werden:
- Ein orthodoxer Jude aus der Leopoldstadt, mit Kaftan und vollem Bart, wird 1938 beim Überqueren der Urania-Brücke von einem Polizisten angehalten: "Gehn's da besser ned rüber, da werden g'rad Juden gepiesackt". Darauf der orthodoxe Jude: "Danke Herr Inspektor, aber ich werd mich ned zum derkennen geben"
(Wer den Witz kennt und ihn korrekt wiedergeben kann, ist herzlich eingeladen, ein Kommentar zu hinterlassen; Ich will mich schließlich nicht in Salcia Landmanns Fußstapfen begeben, die sich als Bewahrerin des jüdischen Humors und Witzes verstand, aber in ihren Büchern, so Torberg, der sich heftig darüber empörte und ihre Bücher komplett verriß, die Witze derart entstellte, dass sie weder als "typisch jüdisch" noch als lustig empfunden werden konnten.)

Aber wieder zurück zu Kreiskys Innenpolitik. Warum koalierte Kreisky überhaupt mit der FPÖ? Naheliegend und richtig ist natürlich, um den ewigen Proporz-Eiertanz mit der ÖVP zu umgehen, und den ständigen Machtkampf der beiden Großparteien mit einem Tabubruch umging, nämlich einer Koalition mit der FPÖ, die bis dahin als Regierungspartner von beiden Parteien offenbar kategorisch ausgeschlossen war. Die FPÖ gab sich Kreisky aber nur unter der Bedingung her, dass eine Wahlreform statt findet, was Kreisky auch realisierte. SPÖ und FPÖ arbeiteten nun gegen ÖVP-"Erbfolgen" im Land.

Danach folgte wieder eine große Koaltion, Vranitzky beendete die Koaltion mit der FPÖ. Mit der Übernahme der ÖVP durch Wolfgang Schüssel war, so Rabinovici, erkennbar, dass sich die ÖVP an dem damaligen Tabubruch der SPÖ rächen will, sprich, dass sich die ÖVP eine Zusammenarbeit mit der FPÖ offen hält. Es kam also 1999/2000 wie es kommen musste: die ÖVP koaliert mit der FPÖ.

Warum dann 2000 so eine Empörung über die ÖVP-Koalition mit der FPÖ? "2000 wars anders", so Rabinovici. Die FPÖ unter Jörg Haider war viel rechter als damals unter Peter. Haider, so Rabinovici, war eine Personalunion aus der Personen:
1) "Aggression gegen parlamentarische Werte", gegen Verfassungsgerichtshof, gegen IKG usw.
2) Relativierung der Vergangenheit, "Aggression der Erinnerung"
3) Rassismus

Schüssel dachte, durch Einbindung der FPÖ in die Regierung diese entschärfen zu können. Das funktionierte aber nur kurzfristig, hinterließ aber langfristige Schäden und bei der übernächsten Wahl erreichte die FPÖ wieder annähernd die selben Ergebnisse wie bei der Wahl 1999 - mittlerweile, zusammen mit dem BZÖ, sogar noch mehr.

Tücken des Verbotsgesetzes

Nochmals die Kronen Zeitung. Als Rabinovici einmal ein Gespräch (Interview?) mit Helmut Zilk führte, der den JWC als "Geiselnehmer Österreichs" bezeichnet haben soll, dachte Rabinovici zuerst daran, Zilk habe unüberlegt die Argumentation der Kronen Zeitung übernommen. Als er dies Zilk vorwarf, stand Zilk jedoch zu dieser Aussage, die seine eigene Meinung wiedergebe. Im Verlauf dieses Gesprächs (ich weiß nicht, ob es schriftlich oder mündlich, zu welchem Anlass und in welchem Medium das gewesen sein soll), soll Rabinovici jedenfalls beiläufig gesagt haben, dass die Kronen Zeitung antisemitisch sei.

Daraufhin klagte ihn die Krone (wohl wegen übler Nachrede oder Unterstellung einer Straftat oder so... wegen des Verbotsgesetzes ist der Vorwurf an jemanden, dass er antisemitisch sei, bereits der Vorwurf einer Straftat ... oder so ähnlich), zumindest wollte sie das. Der erste Anwaltsbrief ging an irgendeinen Studenten, der offenbar einen ähnlichen Namen hatte. Es kam tatsächlich zur Gerichtsverhandlung, die aber verständlicherweise gleich nach dem ersten Zusammentreffen abgebrochen wurde, da die Vorwürfe gegen den Studenten sich rasch als haltlos erwiesen. Die Krone ließ sich dadurch nicht unterkriegen und klagte erneut. Beklagter diesmal: Rabinovicis Vater. Dieser konnte aber gar nicht erst vor Gericht erscheinen, da er längst verstorben ist.

Dritter Versuch, und siehe da, sie haben es doch noch geschafft, Doron Rabinovicis Namen richtig zu schreiben und zu erreichen. Da im Falle einer Verurteilung Rabinovici natürlich mit allen schriftstellerischen Mitteln darauf aufmerskam gemacht hätte, insbesondere auf die Pannen bei der Anklage, dürfte die Krone zu einem außergerichtlichen Vergleich bereit gewesen sein, so habe ich es zumindest verstanden. Man einigte sich darauf, dass Rabinovici der Krone nicht mehr unterstellt, dass sie antisemitisch sei. Was er jedoch darf, sei zu sagen und zu schreiben, dass die Kronen Zeitung "latent vorhandenen Antisemitismus akut macht".

Wie man an diesem Beispiel sieht, schränkt das Verbotsgesetz nicht nur jene ein, die (öffentlich) antisemitisch oder hetzerisch auftreten (wollen), sondern auch jene, die solchen Personen Antisemitismus und Rassismus vorwerfen. Wenn dies nämlich nicht bewiesen werden kann, ist das der strafbare Tatbestand, jemandem eine strafbare Handlung zu unterstellen (juristisch korrekter kann ich das leider nicht definieren, da müsst ihr woanders nachschauen).

Dienstag, 9. Juni 2009

9. VO – 19. Mai 2009 – Arik Brauer



Kindheit und Jugend

Arik Brauer wurde 1929 in Wien geboren. Sein Vater stammte aus Litauen und lebte in Wien, Ottakring, als Schuhmacher. Seine Mutter half im Betrieb mit. Als die Nationalsozialisten 1938 Österreich "anschlossen", wurde Brauers Vater verschleppt und in einem KZ ermordet.

Sein Vater "glaubte an die deutsche Kultur". Er kannte alle Schiller-Balladen auswendig, er glaubte nicht, "dass Nazis so grausam sein können." Er dachte, das all das, was nach dem Anschluss geschah, rasch vorbeigehen müsse, dass dies unkontrollierte Auswüchse seien, die die neuen Machthaber, die Nazis, rasch abstellen würden. Er irrte sich. Die Nazis "haben ihn zu Seife gemacht." (Zitat: Brauer)

Arik selbst und seine Mutter überlebten – mehr oder weniger versteckt – in Wien. Aus ihrer Wohnung wurden sie rausgeschmissen, der Schuhmacher-Betrieb arisiert. Der neue Eigentümer stellte jedoch Ariks Mutter verbotenerweise wieder an, was der Familie letztlich das überleben in Wien ermöglichte. Denn allein mit Essensmarken, die den Juden in Wien zugeteilt wurden, konnte man, so Brauer, nicht lange überleben.

Nationalsozialismus in Wien

Arik Brauer verbrachte also die gesamte NS-Zeit in Wien. Anfangs wurde er noch ab und zu schikaniert, doch sobald er den gelben Davidstern gut sichtbar an der Kleidung tragen musste, ließen ihn die Leute weitgehend in Ruhe, machten eher einen Bogen um ihn. Das war den Leuten dann doch "zu steil", "so mittelalterlich", meinte Brauer. Diese "Brandmarkung" sollte sicherstellen, dass Juden sofort erkannt werden und nirgends hingelangten, wo sie nicht hindurften – was so ziemlich alles war, vom Straßenbahnfahren über den Schulbesuch bis zum Einkaufen oder dem Kinobesuch (sofern man überhaupt noch Geld gehabt hätte). Allerdings erkennt man, trotz aller Klischees, einen Juden nicht unbedingt am Aussehen. Und abgesehen davon sah Brauer auch nicht besonders "jüdisch" aus. Also zog er seine Jacke, auf der der Davidstern befestigt war, einfach verkehrt an, wenn er als Kind, das ja mangels Schulbesuch nicht viel zu tun hatte den ganzen Tag, irgendwo hinging, wo er eigentlich nicht hindurfte. Etwa, wenn er ins Kino ging.

Ob die Wiener wussten, was mit den Juden geschieht, die weggebracht werden? Laut Brauer ja, zumindest einen Teil der Wahrheit. Man wusste, dass die Juden nach Theresienstadt und Auschwitz gebracht werden, man wusste, dass es dort "schrecklich zugeht". Aber wie schrecklich, das wusste man nicht unbedingt – oder man konnte es nicht glauben. Man sagte zwar mitunter, "die werden vergast", aber es konnte wohl kaum jemand glauben. Wobei, so Brauer, die nicht-jüdische Bevölkerung gewusst haben soll, dass jedenfalls "Schwachsinnige" vergast werden.

Als Wien schon so gut wie "judenfrei" war, entwickelte sich in den für den "Judentransport" zuständigen Stellen eine gewisse Eigendynamik. Denn die Soldaten wussten: Sobald der letzte Jude aus Wien gebracht wurde, ist ihre Stelle überflüssig und sie werden an die Front versetzt – und das wollte kaum jemand; je länger der Krieg fortlief, umso weniger; denn umso mehr wusste man von der harten Frontrealität.

Also begannen die Wiener Stellen (und vermutlich nicht nur die Wiener), die "Restjuden" hin- und herzuschicken. Man wollte sie "behalten", damit man "was zu tun" hat – um sein eigenes Leben nicht an der Ostfront dem wahrscheinlichen Tod zuzuführen.

Nach 1945: Israel, Paris und wieder Wien

Ob er nach 1945 ein Problem gehabt habe, in Österreich weiterzuleben? Jeder, dem man die Hand gibt, könnte ja ein "Judenschlächter" gewesen sein! – Nein. Sowas kennt er nicht. "Jeder Mensch ist eine eigene Welt". Sowas verallgemeinert er nicht.

Er studierte nach dem Krieg so bald wie möglich (er musste wohl noch die Matura nachholen) und schloss sich der KPÖ an – der er jedoch bald enttäuscht den Rücken kehrte. Bis 1951 studierte er an der Akademie der bildenden Künste Malerei, wo er unter anderem mit Ernst Fuchs die Schule des Phantastischen Realismus mitbegründete, und von 1947 bis 1951 studierte er auch Geige an der Musikschule. Anschließend, bis 1954, reiste er mit dem Fahrrad durch Europa und Afrika.

Anschließend ging Brauer nach Israel, wo er eine Sängerin kennen lernte und heiratete. Die beiden zogen nach Paris, da es als "Zentrum der Kunst" galt und Wien für einen Künstler damals langweilig war – nix los, "wie in Bratislava". In Paris trat er mit seiner Frau als Gesangsduo auf, er sorgte auch für die musikalische Begleitung. Die Beiden pendelten nun halbjährlich zwischen Israel und Paris. Brauer kümmerte sich aber vor allem um die Malerei, doch nach ersten Ausstellungen kehrte er mit seiner Frau nach Wien zurück. "Heimaterde ist Heimaterde", "das Leben in Wien ist schöner als in Paris. Paris ist ein harter Boden" – es sei "sehr schwer, eine Wohnung oder Atelier zu finden" – in Wien, im Dritten, hatte er hingegen gleich was passendes gefunden.

Antisemitismus, Restitutionsfrage, Erinnern, Waldheim

Wenn ihm gegenüber jemand antisemitische Äußerungen macht, ist ihm das "wurscht". Denn das ist "sein Problem", das Problem desjenigen, der dies tut. "Ich habe keine Angst." (Brauer)

Es stört ihn natürlich schon, wenn Politik und Medien antisemitisch agieren, aber "das ist überall so. 10 % der Menschen in jedem Land sehen die Welt so." Diesbezüglich erinnert er sich an den österreichischen Innenminister Oskar Helmer, der, das ist protokollarisch festgehalten, zur Restitutionsfrage die Aussage "Ich bin dafür, die Sache in die Länge zu ziehen" von sich gegeben hat, und, so Brauer, sinngemäß gemeint hat: "wart' ma bis sie sterben". So etwas sei natürlich sehr ärgerlich und unmoralisch.

Doch die dritte Generation hat die Restitutions-Sache dann endlich "in die Hand genommen – besser spät, als nie."

Und was den Holocaust, die Shoa, betrifft, und die Frage, ob denn so etwas wieder geschehen könne: Der Holocaust war das größte Verbrechen der Geschichte – aber auch das erste, das aufgearbeitet wurde und wird.

Auch über Waldheim gabs nicht viel zu sagen, was wir nicht bereits wüssten. "Da ham's a wengal die falsche Sau g'schlachtet", fiel Brauer dazu ein. Bei Peter wäre es treffender gewesen [die große Empörung usw.]. Aber Waldheim habe sich falsch verhalten: "nix g'sehn, nix g'hört, nur Befehle ausgeführt".

zu Strache, FPÖ und Rechtsextremismus heute

Was unterscheidet das Österreich von heute vom Österreich von 1938? "Damals waren Nazis teils die Elite – 80 % der Lehrer usw." (Brauer) – "heute muss man Nazis suchen, im Wirtshaus." Die FPÖ wendet sich an die "ungebildete Schicht, die nichts, oder bestenfalls Krone lesen."

30 % der FPÖ-Wähler, so Brauer, seien nicht Faschisten oder Antisemiten – das sind Leute, die Probleme mit der Einwanderung haben: "Ich kann mir schon vorstellen, wie das für eine Pensionistin im 15. Bezirk ist: die traut sich nicht die Stiege owigehn!" (Brauer) [Wo die übrigen 70 % der Wähler einzuordnen wären, dazu ist es im Gesprächsverlauf nicht mehr gekommen.]

Israel, Gaza

"Was Israel macht, regiert, is schlecht – das kann man sagen. Aber was Israel machen sollte, weiß niemand – irgendwas muss man machen." Und wie umgehen mit den palästinensischen Gebieten? Brauer, sinngemäß: Die Zwei-Staaten-Lösung wird das einzige sein, was infrage kommt. Voraussetzung ist allerdings, dass die Regierung in Palästina [also die palästinensische Regierung der palästinensischen Gebiete] die Kontrolle über Land und Bevölkerung hat.

Dienstag, 12. Mai 2009

8. VO – 12. Mai 2009 – Erich Lessing

Kindheit und Jugend

Erich Lessing wurde 1923 in Wien geboren. Er war Mitglied der Sozialistischen Jugend, die ab 1934, im austrofaschistischen Ständestaat, illegalisiert war. Das Verhältnis zwischen illegalen Sozialisten und Ständestaatlern war aber dennoch besser als etwa zwischen illegalen "Hakenkreuzlern" und Sozialisten. Lessing beherrscht noch heute, wie er stolz erzählte, die Technik, aus auf Hauswänden und Mauern gemalten Hakenkreuzen ein "verkehrtes" SDAP zu zeichnen - und zwar mit den Händen hinter dem Rücken.

Von der Politik des Ständestaats war seine Familie direkt betroffen, und zwar aufgrund des sogenannten "Doppelverdienergesetzes". Dieses besagte, dass in Ehepaaren, in denen beide Partner berufstätig sind, einer auf die Ausübung seines Berufes verzichten musste. Sein Vater war Zahnarzt, die Mutter Konzertpianistin. Wer von den beiden nun den Beruf aufgeben musste, weiß ich leider nicht mehr. Diese Methode der "Bekämpfung der Arbeitslosigkeit" im Ständestaat schlug sich direkt auf das Haushaltseinkommen der Lessings durch.

Seine Eltern beschrieb Lessing als "überzeugte Juden". Jüdische Traditionen, Bräuche, Feste wurden eingehalten, gelebt, jedoch nicht orthodox. Man feierte Hanukkah, Bar Mizwa, Sukkot usw. Lessing trat als Kind auch der Schwimmsektion der Hakoah bei. Der Religionsunterricht in der Schule sah so aus, dass alle jüdischen Kinder des Gymnasiums in einer Klasse gemeinsam unterrichtet wurden. Zumindest ab 1936 war dies allerdings mehr Unterricht in jüdischer Geschichte, als religiöser oder zionistischer Unterricht, da der Lehrer eigentlich Mathematiker war, der aus irgendwelchen Gründen nicht Mathematik unterrichten durfte.

Nach dem Anschluss 1938 wurden alle jüdischen Gymnasiasten des 7., 8. und 9. Bezirks zum Religionsunterricht (oder generell?) im RG 8 in der Albertgasse zusammengefasst. Allerdings auch nur vorübergehend, denn bald darauf wurde Juden der Schulbesuch verboten. Bis zur Ausreise 1939 wurden Lessing allerdings noch einige Steine in den Weg gelegt.

Nach dem Anschluss: Trennung von der Familie, Flucht nach Haifa

Dass die Familie auswandern sollte, war vermutlich erst nach dem Novemberpogrom 1938 allen so richtig klar. Denn erst Ende 1938 begannen Lessings Anstrengungen, aus Wien auszureisen. Zu diesem Zeitpunkt machten es die Nationalsozialisten Ausreisewilligen aber schon ungleich schwerer, als in den ersten Monaten nach dem Anschluss. Nach dem Novemberpogrom wurde schlagartig alles anders, alles schlimmer. Persönliche Beziehungen zwischen Juden und Nicht-Juden, im Fall der Familie Lessing etwa, wenn es um einen amtlichen Stempel für irgendwelche Dokumente ging (konkret: Bei Adolf Brunner - nicht ident mit dem Kriegsverbrecher Alois Brunner - der in der Prinz-Eugen-Straße offenbar wichtige Stempel verteilte und irgendwie mit den Lessings bekannt war, wodurch das ganze reibungslos und rasch, ohne Schikanen, vonstatten ging), funktionierten spätestens ab 1939 nicht mehr, da wohl keine Kulanz, keine Ausnahmen mehr geduldet wurden. Auch bei der Gauleitung war nach dem Novemberpogrom eine Radikalisierung bemerkbar, so Lessing. Denn während des Pogroms machte sich diese noch Sorgen, dass "so viel" zerstört wird (wohl vor allem in Bezug auf Geschäfte oder Wohnungen und weniger wegen der Synagogen), wenig später war es schon egal, was im Zuge der Judenverfolgung alles zerstört wird.

Dass Lessing ein Jahr warten musste, bis er legal auswandern konnte, ist jedenfalls Schikanen der Nazi-Bürokratie zu verdanken. Denn für einen gültigen Pass benötigte man zwei gültige Dokumente: nämlich eines über die "Judenvermögensabgabe" und ein anderes, dass man keine Schulden hinterlässt (wenn ich das richtig verstanden habe). Beide Dokumente galten jedoch nur 14 Tage, aber die Wartezeit für das zweite Dokument (das man offenbar erst bekommen konnte, wenn das erste vorgelegt wurde), betrug mindestens so lange, als dass das erste Dokument bereits wieder abgelaufen war. Man hatte also, so Lessing, nie zwei gültige Dokumente gleichzeitig in der Hand und kam so nie zu seinem Pass, den man zur Ausreise benötigte. Offenbar war es dann doch wieder die Bekanntschaft mit einem Notar, Dr. Harrandt, die es Lessing ermöglichte, rechtzeitig zu seinem Pass zu kommen und Wien bei wohl einer der letzten Gelegenheiten im Dezember 1939 zu verlassen. In Lessings Fall war es, um genau zu sein, ein "Schülerzertifikat", das von der Jewish Agency ausgestellt wurde, mit dem er ausreisen konnte.

Er fuhr mit dem Zug nach Triest, von wo aus es mit der "Galilea" nach Haifa weiterging. Er fuhr alleine, denn seine Mutter wollte ihn Wien bleiben, um ihre Mutter nicht alleine zu lassen. Was mit dem Vater passierte ist mir leider entgangen, doch dürfte der diese Zeit bereits nicht mehr erlebt haben. Zudem hatte Lessing einen Onkel in Wien, der eine Mühle besaß, das Unternehmen "Brach & Lessing". Dieser hinterließ Lessing ein Legat - mehr erfuhren wir auch hiervon nicht.

Bis 1942 bekam er über das Rote Kreuz Telegramme von seiner Mutter, dann brach der Kontakt ab. Durch Recherchen seiner Tochter Hannah erfuhr er von ihrem Schicksal in den Konzentrationslagern.

Zeit in Palästina / Israel

Im damaligen Mandatsgebiet Palästina ging Lessing in einen Kibbuz, bei Beit Sha'ar, wenn ich es richtig verstanden hab (und wovon es, laut den mir möglichen Recherchen auf deutsch und englisch, zumindest zwei gibt). Es war jedenfalls "bürgerlich-zionistisch" und Lessings Aufgabe war dort, auf einem nahe gelegenen Berg auf die korrekte Teilung der Quelle zwischen drei israelischen Dörfern und einem palästinensischen Dorf aufzupassen. So saß er dort viele Stunden und verbrachte die Zeit mit lesen. Die übrige Zeit hat er Fischteiche vermessen. Den Kibbuz, zumindest jedenfalls die Teiche, gibt es heute noch, es sind sogar noch sehr viele dazugekommen. Viel gelesen hat er dann auch während seiner Zeit als Taxifahrer in Haifa (oder Tel Aviv?), wenn zu manchen Tageszeiten wenig Kundschaft da war. Mit der Fotografie ist er erst 1950 berufsmäßig in Kontakt gekommen. Seine erste Kamera hatte er zwar schon zu seiner Bar Mizwa in Wien, als er 13 war, bekommen. Doch mehr oder weniger professionell eingesetzt hat er sie erst ab seiner Zeit als Fallschirmjäger beim britischen Militär (er fotografierte aus dem Flugzeug heraus, möglicherweise sogar bei seinen Sprüngen, obwohl das ein ziemlicher "Kasten" war - einmal ist sie ihm dann bei einer unsanften Landung auch kaputt gegangen).

Rückkehr nach Österreich

Sein erster Eindruck bei der Rückkehr nach Österreich – wiederum über Triest und dann mit dem Zug nach Wien – war folgender: Bei der Passkontrolle an der österreichischen Grenze nahm der Beamte den britischen Pass von Erich Lessing zu sich, schaute ihn an, lächelte mild, gab den Pass zurück, und verschwand ebenso wortlos wie die ganze Prozedur abgelaufen ist. Das war, so Lessing, wie ein versteckter Willkommensgruß für ihn.

Auch mit der Rückkehr nach Wien, woraus er etwa 8 Jahre zuvor fliehen musste, hatte er nicht wirklich ein Problem. Er traf einige nette Leute, wie etwa den sozialdemokratischen Hausmeister von einst, wieder, was schöne Erfahrungen waren. Aber er traf auch Leute, die er aus 1938/39 unangenehm in Erinnerung hatte. Die Wohnung, in der Lessing vor der Flucht lebte, war mittlerweile von jemand anderem bewohnt. Er versuchte gar nicht, sie zurückzubekommen. Doch er suchte seine alten Möbel – und fand sie in den Geschäften der Umgebung: Beim Kohlenhändler, beim Gemüsehändler usw. Die hat er zurückbekommen – er hat sie abholen lassen, wie er sagte.

Dass er nach Österreich zurückgekehrt ist, ist im Grunde nur dem Umstand zu verdanken, dass es ungleich schwieriger war, ein Visum für Frankreich (er wollte seine Fotografie in Paris professionalisieren) zu bekommen, als mit britischem Pass ins teils britisch besetzte Österreich einzureisen. Er fragte dann bei allen Agenturen in Wien, ob sie einen Fotografen benötigen. Er konnte zwar noch nicht gut fotografieren, wie er uns erzählte, aber: "die anderen auch nicht". Er fand eine Stelle bei Associated Press, wo er auch seine spätere Frau Traudl kennenlernte - eine Christin, die später, bevor die Kinder kamen, zum Judentum übergetreten ist (musste eine Mikwe machen, sozusagen ein "Taufbad" im "Tauchbad").

Sein Höhepunkt als Fotograf – zumindest seine erfolgreichsten und bekanntesten Fotos – waren ja die Fotos vom Ungarn-Aufstand 1956. Dass er zur richtigen Zeit am richtigen Ort war liege daran, dass er schon die ganze Zeit gespürt hat, das was passieren wird. Die Stimmung, die Spannung im Volk habe dies gezeigt. Und als die Sowjets sich nach dem Aufstand in Ungarn zurückzogen, habe er schon nicht glauben können, dass die sich das gefallen lassen. Er ist also mit dem Auto den Truppentransportern bis an die Grenze nachgefahren – und nach der Grenze waren auch schon große Lager und Panzer, die offenbar nur auf einen Einsatzbefehl warteten. Lessing kehrte also nach Budapest zurück und verkündete seine Einschätzung, die Russen würden wieder kommen. Aber niemand konnte oder wollte das glauben, bis es dann eben doch geschah. So kam es, dass Lessing offenbar der einzige Fotograf war, der Bilder von der Niederschlagung des Aufstands in Budapest liefern konnte. Noch bevor alles vorbei war, war er schon wieder in Wien, und die Fotos traten ihre Reise um die Welt an.

Lessing blieb dann jedenfalls in Österreich und ließ sich auch, obwohl eher areligiös, "brav" bei der IKG registrieren, weil "es sich gehört". Im Laufe der Jahre hat er sich auch angewohnt, "wenigstens zu den hohen Feiertagen" in die Synagoge zu gehen.



Jüdische Identität

Auch wenn sich Lessing eher als areligiös bezeichnet und, wie gerade erwähnt, sich erst später mit regelmäßigen Synagogenbesuchen anfreunden konnte, bezeichnet er sich als "überzeugter Jude". Denn: "überzeugter Jude sein hat nichts mit Religion zu tun" (Zitat Lessing).

Er erzählte auch eine Anekdote von seiner Tochter, Hannah Lessing, die als Generalsekretärin des Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus eine Rede im Parlament halten sollte. Sie arbeitete an der Rede und kam dann mit folgender Frage zu ihrem Vater: Bin ich eigentlich österreichische Jüdin oder jüdische Österreicherin? Eine klare Antwort konnte ihr Erich auch nicht geben: Eigentlich beides, kommt drauf an, mit wem du sprichst. Was die Religiösität in der Familie betrifft, meint Lessing, es sei eine "schizophrene Familie": Hälfte/Hälfte. Tochter Hannah lebt eher religiös und isst koscher, die andere Tochter wiederum nicht.

Zu Israel befragt ("Wie stehst du heute zu Israel?"), musste Lessing erst mal ca. 10 Sekunden schweigen – es fiel ihm kein Wort, kein Satz ein, den er sagen sollte. Nach mehreren Versuchen, ein Wort hervorzubringen, meinte er dann jedenfalls, er, bzw. "man", mischt sich nicht in die Angelegenheit anderer Länder ein – "auch wenn man eine gewisse Affinität dazu hat". Und was den Gaza-Krieg betrifft: Israel habe aus dem Libanon-Krieg dazu gelernt, so Lessing. Denn auf beiden Seiten gab es nur sehr wenig Verluste. Israel habe versucht, sowohl unter der palästinensischen Zivilbevölkerung als auch unter den eigenen Soldaten Verluste so gut wie möglich zu vermeiden.

Zu Kreisky-Wiesenthal

Auch Erich Lessing kannte Kreisky persönlich. Er hat ihn eher positiv in Erinnerung, Kreisky sei etwa ein sehr guter Witzeerzähler gewesen. Die Kreisky-Wiesenthal-Affäre war aber auch für ihn "keines der schöneren Ereignisse" war. Der Grund für die heftige Konfrontation zwischen beiden liegt für Lessing auch darin begründet, dass beides "schwierige Persönlichkeiten" waren, die sich einfach "nicht verstehen" wollten. Kreisky habe charakterlich eher die Einstellung des assimilierten bürgerlichen Wiener Judentums der 20er-Jahre weitergetragen, wie etwa ein Otto Bauer, Victor Adler u.a. Er habe sich entschieden, ein europäischer Jude zu sein – so Lessing über Kreisky.

Interessante Aussagen machte Lessing zum Verhältnis zwischen Kreisky und Israel. So gab Kreisky ja den Forderungen der Terroristen nach, die die Auflassung des Zwischenlagers Schönau (Gemeinde Marchegg) in Österreich forderten, wo russische Juden auf die Ausreise nach Israel warteten. Die israelische Ministerpräsidentin Golda Meir reiste daraufhin eigens nach Wien, um Kreisky davon abzuhalten, den Terroristen nachzugeben, und versuchte ihn zu diesem Zweck an "sein Judentum" zu erinnern. Kreisky ließ sich darauf jedoch nicht ein (sein Judentum sei in diesem Fall "bedeutungslos") und schloss das Lager trotzdem. Die Auswanderung russischer Juden aus der Sowjetunion nach Israel lief im übrigen auch weiterhin über Österreich.

Und was die Affäre Wiesenthal-Kreisky betrifft, so sei Kreiskys Aufregung über Wiesenthals Aufdeckungen und Anschuldigungen auch damit zu erklären, dass Kreisky Peter (Friedrich Peter, Vizekanzler, FPÖ) gebraucht habe, und zwar nicht nur, um Bundeskanzler zu werden. Kreisky soll auch ein Interesse gehabt haben, so Lessing, dass Peter und die FPÖ pro-israelisch gestimmt wird. Man wollte "den Liberalen" Peter dahingehend stärken und benutzen, um die FPÖ zu einer liberalen Partei zu machen. Auch Israel hat diese Interessen mitgetragen und unterstützt. So hat es etwa bei Lessing ein Essen mit dem israelischen Botschafter und Peter gegeben. Wiesenthals Anschuldigungen haben aber alle Bemühungen "konterkariert" und alles zunichte gemacht. "Hätte die Politik funktioniert, hätten wir heute kein Strache-Problem", so die äußerst interessanten Äußerungen Lessings über Kreisky, Wiesenthal, Peter und Israel.

Zu Waldheim und Antisemitismus heute

Das Verhältnis zwischen Lessing und Waldheim war "uninteressant – Waldheim war ein uninteressanter Mensch". Ob die "Kampagne" gegen Waldheim den Antisemitismus gefördert habe? "Wie man's tut is' falsch." "Totschweigen" wär auch keine bessere Lösung gewesen.

Zu den kommenden Wahlen: Die Entwicklung rund um Strache und die FPÖ sei schlimm, die kommenden Wahlen werden zeigen, "was los ist". Jedenfalls war Lessing "da Haider 10 mal lieber als der Strache; der war wenigstens Opportunist."

Und zum heutigen Antisemitismus, bzw. dem Antisemitismus generell: "Antisemitismus hat nichts mit Juden zu tun." (in Bezug darauf, dass es Antisemitismus auch in Regionen gibt, wo gar keine Juden leben oder je irgendeinen Einfluss ausgeübt hätten – Stichwort: "Antisemitismus ohne Juden"). In Vorarlberg, so Lessing, sei es 10 mal wahrscheinlicher von einem Auto überfahren zu werden, als einem Juden die Hand schütteln zu müssen.

7. VO – 5. Mai 2009 – Paul Chaim Eisenberg

Paul Chaim Eisenberg ist seit 1983 Oberrabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) in Wien. Ursprünglich wollte Eisenberg Mathematiker werden, was er auch studierte, doch schließlich ging der Traum eines jeden Rabbiners in Erfüllung – ein Traum, den Bischöfe nicht haben können: Der Sohn wird Nachfolger. 35 Jahre lang, von 1948 bis zu seinem Tod 1983, war Paul Eisenbergs Vater, Akiba Eisenberg, Oberrabiner von Wien.

Wie bereits im Vergleich mit dem Bischof, den Eisenberg so gebracht hat (sinngemäß jedenfalls), angeklungen ist, witzelt er gerne. Stellt ihm jemand eine Frage, so holt er häufig erst einmal aus und erzählt eine Anekdote, die ihren Ursprung entweder in einem der heiligen Bücher, sonstigen Erzählungen oder Überlieferungen oder in persönlichen Erfahrungen oder Beobachtungen liegen. Manchmal tut es auch ein Witz, um den Fragesteller und die Zuhörer auf die Weisheit der folgenden Antwort vorzubereiten. Auch bei einem Interview in der Zeit im vergangenen Februar kam er nicht umhin, eine Frage erst mal mit einem Witz zu beantworten. Das ist einfach seine Art, was seine Anhänger auch sehr schätzen. Der Oberrabbiner, so Eisenberg, muss ja auch nicht der frömmste aller Juden einer Gemeinde sein, er muss nur mit allen mehr oder weniger gut auskommen. Humor ist da sicherlich eine hilfreiche Eigenschaft.



Aber die jüdische Gemeinde Wiens besteht ja nicht nur aus einem Oberrabbiner. Die IKG, die auf das Israelitengesetz von 1890 zurückgeht, ist ja im Grunde nur ein Konstrukt, um die verschiedenen jüdischen Glaubensrichtungen unter einem Dach zu halten – "damit der Kaiser seine Ruhe hat", vermutet Eisenberg – denn sonst wäre womöglich jeden Tag ein anderer Rabbi zu ihm gekommen, um über seine Sorgen zu klagen. Aber so gibt es ein Oberhaupt, das für alle sprechen kann – und interne Streitereien und Uneinigkeiten müssen auch intern geregelt werden.

Die jüdische Gemeinde Wiens, die offiziell nur rund 9.000 Personen umfasst (aber wie IKG-Präsident Muzicant unlängst verraten hat, sind es wohl eher 20.000) zählt daher etwa 10 Rabbiner und 16, 17 Synagogen – wobei Synagoge hier nicht zu bildhaft als großer, eigenständiger Sakralbau verstanden werden darf, sondern, mit Ausnahme des Stadttempels, Bethäuser oder Beträume meint (vgl. auch untenstehende Angaben laut Muzicant: 6 Rabbiner und 14, 15 Bethäuser). Eine Besonderheit Wiens sei, wie auch Muzicant bereits betont hatte, dass alle Strömungen des orthodoxen oder reformierten Judentums unter einem Dach organisiert sind und relativ gut miteinander auskommen. Einzige Ausnahme hierbei ist Or Hadash, eine dem Reformjudentum zuzuordnende, lediglich ein paar Hundert Mitglieder umfassende Gruppe, die sich der Aufgabe verschrieben hat, vom Glauben entfernte Juden wieder näher zur Religion zu bringen. Die Formen der Religionsausübung dürften hierbei wohl noch weiter von Vorstellungen der Orthodoxen entfernt sein, als bei anderen reformierten Gruppen. Jedenfalls haben fast alle anderen Gruppierungen innerhalb der IKG mit Austritt gedroht, sollte Or Hadash aufgenommen werden. Doch unter Eisenberg konnten sich alle auf einen Kompromiss einigen, sodass Or Hadash offiziell nicht der IKG angehört, doch ihre Mitglieder sehr wohl auch IKG-Mitglieder sind bzw. sein können, und die Gruppe auch im Mitteilungsorgan der Israelitischen Kultusgemeinde, der Gemeinde, wie alle anderen Gruppen ihren Platz für Ankündigungen und Mitteilungen hat, und sie benutzen einen Betraum, der ihnen von der IKG zur Verfügung gestellt wurde. Eine Spaltung der Gemeinde, wie dies in Budapest geschehen sei, konnte dadurch verhindert werden. Grundlage des Kompromisses, so Eisenberg: Jeder Jude ist Mitglied der Gemeinde – innerhalb welcher Gruppierungen, ist zweitrangig.

Es ging also vor allem um die jüdische Gemeinde Wiens und Ausprägungen des Judentums. Themen wie Bruno Kreisky oder Kurt Waldheim wurden nicht angesprochen. Wir erfuhren jedoch nocht etwas darüber, wie Vater Akiba den Nationalsozialismus überlebte. Er konnte sich, wie viele andere Juden, darunter auch Landesmann, in Budapest verstecken. Laut Eisenberg habe es in Budapest, dass ja erst sehr spät von den Nazis eingenommen wurde, viele Häuser gegeben, in denen man als Jude relativ sicher war – solange man diese Häuser nicht verlassen hat. Auf diese Weise hätten 60.000 bis 80.000 Juden überlebt – wurden aber in großer Zahl anschließend von den Sowjets nach Sibirien verschleppt. Auch Akiba Eisenberg wurde von den Russen gefasst und in eine Gruppe gesteckt, die vermutlich für den Transport nach Sibirien bestimmt war. Der Offizier war möglicherweise ebenfalls Jude – jedenfalls habe er Akiba aus der Gruppe entfernt, als dieser ihm sagte, er sei Rabbiner. Das war vermutlich seine Rettung.

Freitag, 1. Mai 2009

6. VO – 21. April 2009 – Oscar Bronner

Nach drei Wochen Osterpause kam Oscar Bronner als sechster Gast zu Peter Landesmann. Die allererste Frage lautete dann gleich, wie sein Name nun korrekt geschrieben werde – mit "k" oder mit "c". Mit 'c', da seine Geburt 1943 in Haifa noch in die Zeit des Völkerbundsmandates für Palästina fiel, das unter britischer Kontrolle stand. Weiters las Landesmann eine kurze Biografie Bronners aus der Wikipedia vor. Doch hier sollen prinzipiell nur jene Sachen erwähnt werden, die nicht bereits in der Wikipedia oder an anderen leicht zu findenden Stellen im Internet zu finden sind. Also kommen wir zu Bronners Jugend.

Kindheit und Familie

Bronners Eltern, der spätere Kabarettist Gerhard Bronner und seine spätere Frau, kannten einander bereits aus ihrer Jugend in Wien, die 1938 jedoch unterbrochen wurde. Als Gerhards Eltern von den Nazis verhaftet wurden, flüchtete er alleine zu Verwandten in die Slowakei. Dort verdiente er sich mit Gitarre spielen etwas Taschengeld, bevor er weiter nach Haifa floh. Dort traf er dann jenes Mädchen aus Wien wieder, das er bald heiratete (die beiden waren damals etwa 17, 18 Jahre alt) und deren erster Sohn, wenige Jahre später, Oscar war.

Bronner wuchs zuerst zweisprachig auf, da zuhause deutsch gesprochen wurde, im Kindergarten jedoch hebräisch (Ivrit). Als die Jungfamilie 1948 nach Wien zurückkehrte – vor allem Oscars Mutter wollte dies, um ihre Eltern, die in Shanghai überlebten, wiederzusehen – musste Oscar seine Deutschkenntnisse nachbessern. Also gaben ihm seine Eltern sozusagen privaten Förderunterricht, der so erfolgreich war, dass er danach kaum ein Wort hebräisch mehr konnte.

Als sein Vater einen Job beim deutschen Fernsehen in Hamburg bekam (das war so Ende 1952), übersiedelte die Familie dorthin. Oscar besuchte dort zwei Jahre die Schule, bis sich seine Eltern trennten. Er ging daraufhin fünf Jahre in Bonn, wo seine Mutter nun lebte, in die Schule. Dort war er ein guter Schüler, doch zurück in Österreich hatte er große schulische Schwierigkeiten. Er brach mit 17 die Schule ab, ging arbeiten, besuchte nebenbei auch Uni-Vorlesungen und holte die Matura als Externist nach.

Alles weitere zu seiner Biografie und Karriere, also seine Bekanntschaften mit Qualtinger und Torberg, seine Volontariate bei diversen Zeitungen usw. steht alles anderswo, auch auf einigen Webseiten, gut beschrieben (siehe auch Link am Ende dieses Postings) und wurde hier auch nur stichwortartig erwähnt.

Jüdische Identität

Antisemitische Erfahrungen hat Oscar in Wien nie gemacht. Vater Gerhard war areligiös eingestellt, seine Mutter bestand ebenfalls nicht auf eine religiöse Erziehung. Die Familie, in der er "hineingeboren wurde, war vollkommen areligiös." (Bronner) Also wusste Oscar in der Schule vermutlich genau so wenig wie die meisten seiner Schulkollegen, warum in seinem Zeugnis "mosaisch" stand und was das bedeuten solle. Dass er jüdisch ist, wurde Bronner erst schrittweise bewusst. Ein diesbezügliches Schlüsselerlebnis gab es nicht. Über Judentum, Politik, Palästina oder Israel wurde zuhause nie geredet, obwohl sich Vater Gerhard als Kabarettist zumindest mit der Politik intensiv beschäftigte. Was immer an mir jüdisch ist, mit Religion hat das nichts zu tun. (Bronner) Bronner fand erst später in seinem Leben zu "seinem Judentum" – wohl auch aufgrund seiner Heirat 1988 und den aus dieser Ehe hervorgegangenen zwei Kindern. Dadurch spielen jüdische Feiertage eine gewisse Rolle, aber "sonst nichts".

Zu Israel hat Bronner seit der Rückkehr mit seinen Eltern aus Haifa keine Beziehung mehr. Zur Politik könne er nur sagen, dass Israel "sehr vieles richtig" gemacht habe, und "sehr vieles falsch". Aber "auch die andere Seite hat vieles falsch gemacht".

Zu Kreisky

So, und nun wieder zu den Standards: Beginnen wir mit Kreisky (im Sinner der Chronologie der Befragung). Wie bereits einige der vorherigen Gäste hat auch Bronner persönlich mit Kreisky Bekanntschaft gemacht. Und auch bei ihm ist diese Bekanntschaft der Verwandschaft zu verdanken (wir erinnern uns: Georg Markus kannte Kreisky, weil seine Oma die Nachbarin von Kreiskys Mutter in Brünn war und mit der Familie befreundet war). Bei Bronner ist die Bekanntschaft weniger nachbarschaftlich, denn politisch begründet. Bronners Onkel, ein Oskar, den man vermutlich mit "k" geschrieben hat (da wie dessen Bruder Gerhard wohl in Wien und nicht in einem englisch verwalteten Gebiet geboren), war Sozialdemokrat und mit Bruno Kreisky befreundet.

Die Kreisky-Wiesenthal-Affäre hat Vater Gerhard, ebenfalls Sozialdemokrat, sehr geärgert. Oscar (mit "c") hatte zu dieser Zeit bereits den Profil gegründet, der die Ereignisse verfolgte und kritisierte. In der Vorlesung meinte Bronner: "da hat Kreisky sehr ungut agiert, sagen wir's mal so. [...] wobei Kreisky halt ein sehr komplexes Thema ist", da er ja auch areligiös, insbesondere als Sozialist bzw. Sozialdemokrat, eingestellt war. Die Ideologie dahinter sei eben, so Bronner (sinngemäß), dass die Basis für eine Antisemitismusfreie Welt die soziale Gerechtigkeit ist – Sozialismus statt Religion.

Warum Kreisky die Zusammenarbeit mit Friedrich Peter, dem FPÖ-Chef und ehemaligen Waffen-SS-Mitglied suchte, versucht Bronner mit folgenden Aussagen nachzuvollziehen: Kreisky war während des Austrofaschismus als Sozialist gemeinsam mit illegalen Nazis in Wöllersdorf interniert. Sozialisten und Nazis hatten damals einen gemeinsamen Feind: Die Christlichsozialen. Einer seiner damaligen Haftkollegen half Kreisky nach dem Anschluss 1938 als Nazi bei der Flucht aus Österreich. "Kreisky war halt ein Produkt dieser seltsamen Gemengenlage" (Bronner).

Zu Friedrich Peter wusste Landesmann zudem, dass dieser eher dem liberalen Flügel der Freiheitlichen, der auf die Revolution von 1848 zurückgeht, angehörte, und nicht dem deutschnationalen. Peter habe Landesmann außerdem erzählt, dass er "vom Antisemitismus geheilt" wurde, als er als US-Kriegsgefangener von einem jüdischen Offizier verhört und geohrfeigt wurde. Das habe ihm so imponiert und ihm ein Bild von einem "starken Juden" vermittelt, dass er so noch nie gesehen haben will. So habe er es zumindest Landesmann erzählt.

Zur FPÖ und Haider

Bezüglich den liberalen Wurzeln der FPÖ meinte Landesmann weiters, dass Norbert Steger versucht habe, die FPÖ zur liberalen Partei zu machen – vergleichbar der FDP in Deutschland – damit aber scheiterte und von Haider und dem deutschnationalen Flügel sozusagen "geputscht" wurde. Österreich habe einfach eine zu geringe liberale Tradition, weshalb auch Heide Schmidt, die ja aufgrund des "Putsches" des deutschnationalen Flügels aus der FPÖ austrat und das "Liberale Forum" gründete, sich in der österreichischen Parteienlandschaft nicht etablieren konnte.

Bei irgendeiner Veranstaltung, etwa um 1989/1990, als Haiders Aufstieg begann, hatte Bronner auch mal das "Vergnügen" mit Jörg Haider persönlich Bekanntschaft zu machen. Haider und seine "Buberlpartie" seien plötzlich zielstrebig auf Bronner zugekommen, sodass er nicht mehr habe ausweichen können. Sie gratulierten ihm zu seiner Zeitung (Der Standard wurde ja kurz zuvor, 1988, gegründet) und, geschickt wie Haider im Vereinnahmen von Menschen gewesen ist, habe er sogleich gemeint, er und Bronner hätten sehr viel gemeinsam, denn er, Haider, sei ein liberaler Politiker und Der Standard eine liberale Zeitung. Bronner entgegnete ihm, dass er ihm das nicht glaube, da er ganz andere Dinge von sich gebe, als dass sie auf eine liberale Grundhaltung schließen lassen würden. Haider versicherte daraufhin sofort, das seien Ausrutscher gewesen, rechte Aussagen seien Vergangenheit (und das um 1989/1990!), er werde jetzt liberale Politik betreiben. Bronner meinte wiederum, dass er ihm das nicht glaube. Es kam zu einer Wette, dass Haider nie wieder "rechte Ausrutscher" haben werde – falls doch, schuldet Haider Bronner eine Flasche Champagner. Was nach 1989/1990 noch alles aus Haiders Mund tönte ist hinreichend bekannt. Den Wettgewinn forderte Bronner jedoch nicht mehr ein.

Dass Haider sich als liberaler Politiker vorstellte, kommentiert Bronner damit, dass Haider halt "ein Chamäleon" war. Er wollte immer bei allen beliebt sein, zumindest bei seinen Gesprächspartnern. Er passt sich immer seinem Publikum an, wobei das halt besser mit "rechts" gehe, da er das von zuhause kennt.

Zu Waldheim

Bronner, sinngemäß: Waldheim war ein Opportunist, er war "zum Teil eine tragische Figur". Er wurde vom JWC (Jewish World Congress) mit falschen Vorwürfen konfrontiert, auf die er dann jedoch falsch reagiert habe. Nämlich in einer Weise, die das Unrecht gegen ihn wiederum rechtfertigte. Er war ein "schlichter Denker" und "hat bis zum Ende seines Lebens nicht erkannt", wie er für das Unrecht gegen ihn mitverantwortlich ist.

Wohl als Folge seines "schlichten Denkens" ist zu sehen, dass Waldheim auch zu Bronner Kontakt suchte, da Bronner ja Jude ist und somit wohl irgendwas mit dem JWC zu tun haben müsse.



Kritik am Standard

Eine Frage aus der Zuhörerschaft bezog sich auf Gudrun Harrer, die Nahost-Expertin des Standards. Diese werde ja von jüdischer Seite manchmal als einseitig, eher pro-arabisch und zu israelkritisch oder gar -feindlich bezeichnet. Bronner kann dies nicht nachvollziehen, er sieht keine Einseitigkeit. Harrer ist ausgewiesene Nahost-Expertin, spricht Ivrit und Arabisch und benutzt Quellen von beiden Seiten. Sie unterliege höchstens vielleicht manchmal dem Mechanismus, dass Israel als Demokratie Kritik zulässt, jedoch in arabischen Ländern aber auch in den palästinensischen Autonomiegebieten kaum Kritik und Opposition vorhanden oder möglich ist.

Auch auf einen weiteren Einwand, dass es doch auch bekannte palästinensische Kritiker außerhalb Israels/Palästina gebe, die in anderen Medien zu Wort kommen würden, im Standard jedoch nicht, kann Bronner nicht nachvollziehen. Substantielleres wurde zu diesen Punkten nicht gesagt.

Zum Weiterlesen:
- Sehr empfehlen kann ich folgenden Text aus dem Datum 10/08:
Klaus Stimeder, Eva Weissenberger Der Junge aus Haifa (Auszug aus der Bronner-Biografie Trotzdem)

Montag, 13. April 2009

5. VO – 31. März 2009 – Ariel Muzicant

Mit etwas Verspätung, aber noch deutlich vor dem nächsten Termin am 21. April, nun der Bericht vom Gespräch Landesmanns mit IKG Wien-Präsidenten Ariel Muzicant. Dass es so lange gedauert hat, liegt aber sicher auch an der Unmenge an Informationen, die Muzicant in diesem Gespräch liefern konnte.

Über Muzicant

Muzicant begann sich ab dem 6-Tage-Krieg in Israel, als er etwa 15 Jahre alt war, für das Judentum zu interessieren und befassen. Der Holocaust, die Shoa, war in seiner Familie sehr wohl Gesprächsthema. Vor allem seine zwei Onkel, die sich 1938 in Wien befanden, in der Folge nach Rumänien flohen, überlebten und zurückkehrten, erzählten ihm von ihren Erlebnissen. Auch seine Eltern, die durch Flucht überleben konnten (sein Vater floh sogar bis China), erzählten ihm davon.

In der Schule, er besuchte das Lycée Francais in Wien, da die IKG nach 1945 alle jüdischen Schulen geschlossen hatte, und das Lycée als wenig antisemitisch im Vergleich zu normalen staatlichen Schulen galt, war er ein sehr neugieriger, kritischer Schüler, vor allem im Geschichtsunterricht. Persönliche Erfahrungen mit Antisemiten hatte er sehr wohl. Er prügelte sich etwa mal mit Nazis auf der Uni-Rampe in Wien.

Als IKG-Präsident wurde bisher zwei Mal, jeweils einstimmig, gewählt. 2002 setzte er die Kultussteuer aus (abschaffen geht von Gesetzeswegen nicht), seither stieg die Zahl der Eintritte in die IKG. Wohlhabendere Mitglieder zahlen 11 Euro Beitrag pro Monat, die übrigen werden um freiwillige Spenden gebeten.

Bei der Volkszählung 2001 rief er zum Boykott der Religionsangabe auf, da diese seiner Ansicht nach genau so wenig "erhoben" werden braucht, wie etwa die Zahl der Slowenen in Kärnten, "um dann weniger Ortstafeln aufstellen zu müssen". Dennoch haben sich rund 8.000 Personen zum Judentum bekannt, etwa 10.000 bis 15.000 können laut Muzicant jedoch noch dazugezählt werden.

Jüdische Identität in Österreich

Ob man als Jude in Österreich nun Österreicher, Jude oder Israeli ist? – Das muss sich jeder selber mit sich ausmachen, so Muzicant. Er selbst sieht sich jedenfalls als Österreicher und Europäer, mit Israel als geistiger Heimat. "Allerdings", muss Muzicant relativierend klarstellen, "Antisemiten unterscheiden da eh nicht". Er bekam im Zuge des Gaza-Krieges "tonnenweise Hass-Briefe", obwohl er ja natürlich nichts für die Entwicklung in Israel und den palästinensischen Autonomiegebieten kann. Er äußerte sich hierzu im Grunde nur insofern, als dass das Existenzrecht Israels außer Frage stehe. Dieses Recht ist wesentlicher Bestandteil seiner jüdischen Identität. Und wenn jemand wegen diesem von Muzicant öffentlich kundgetanen Bekenntnis aus der IKG austritt – was laut Muzicant auch geschah – dann sei das auch "besser so", weil dann muss er so jemanden nicht mehr vertreten.

Entwicklung der IKG nach 1945

Die Geschichte der IKG nach 1945 teilt Muzicant in zwei Abschnitte ein: Zuerst jene Phase, in der die wieder entstandene Gemeinde nach 1945 eine Art Auflösungspolitik betrifft, mit dem Hintergedanken, dass es nie wieder jüdisches Leben in Österreich, respektive Wien, geben könne. Da es aber bekanntlich auch nach 1945 jüdisches Leben in Wien gab, und bei aller Auswanderung immer wieder auch Zuwanderer und Rückkehrer eintrafen, kam es zwangsläufig zu einem Generationenkonflikt. Dieser fand etwa in den 70er-Jahren statt und führte letztlich bei den IKG-Vorstandswahlen 1981 zu einem Paradigmenwechsel. Statt jüdische Einrichtungen aufzulösen und Grundstücke zu verkaufen (so geschehen mit unzähligen Liegenschaften ehemaliger Bethäuser und Synagogen, vgl. Bob Martens, Katharina Kohlmaier: Was geschah mit den Grundstücken, auf denen sich Synagogen in Wien befanden? In: DAVID, Nr. 59, 2003, S. 29–35; siehe ebenfalls: Wikipedia: Liste jüdischer Andachtstätten in Wien), wollte die neue Generation nun wieder jüdische Einrichtungen eröffnen und verbliebene Besitztümer bewahren. Das umfangreiche IKG-Archiv und jahrhundertealte Urkunden waren freilich bereits unwiderbringlich nach Israel gebracht worden.

Die Wende innerhalb der IKG brachte eine Entpolitisierung mit sich. Statt ein Spiegelbild der israelischen Parteienlandschaft abzugeben, wurde Sachpolitik in den Vordergründ gerückt. Parteizugehörigkeiten traten in den Hintergrund und spielen heute kaum oder gar keine Rolle mehr. Dennoch kann man sagen, dass die IKG politisch überwiegend links der Mitte angesiedelt ist. Was auch immer das nun konkret bedeuten mag – um einen Kindergarten zu bauen, ist es egal, ob man links, rechts oder in der Mitte steht – so Muzicant.

Jüdische Gemeinde Wiens im europäischen Vergleich

Was das Wiener Judentum vom restlichen Europa unterscheidet? Der Zusammenhalt! Reform- und orthodoxes Judentum befinden sich in Wien unter einem Dach, jenem der IKG. Die IKG fungiert als Dachgemeinschaft aller jüdischen Strömungen, die in Wien vorhanden sind – was sehr viele sind. Jede Gruppe hat weitestgehende Freiheit. Lediglich Angelegenheiten, die das gesamte Judentum betreffen, werden von der IKG gehandhabt. Etwa das Familienrecht, Eintritte usw., wofür Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg zuständig ist, der wiederum als "sehr konziliant" gilt. Auch das Budget liegt natürlich bei der IKG, und hier ist laut Muzicant auch der einzige nennenswerte Reibepunkt vorhanden: Denn letztendlich haben alle Gruppen das Gefühl, zu wenig Geld zu bekommen. Was die unterschiedlichen Ausprägungen der Wiener Juden, in politischer, ideologischer, religiöser Hinsicht und nach geographischer Herkunft betrifft, so mögen diese verschiedenen Gruppen zwar ihre Eigenheiten und Unterschiede haben, doch aufgrund der Freiheiten unter dem Dach der IKG stört dies letztlich nicht den Zusammenhalt als eine Gemeinde, versichert Muzicant. Und dass es eine vielfältige, lebendige Gemeinde ist, lässt sich etwa auch an der Tatsache erkennen, dass es 14, 15 Beträume und 6 Rabbiner in Wien gebe (Muzicant).

Dass es in Wien eine jüdische Gemeinde gibt, in der alle verschiedenen Gruppen, wovon Orthodoxie und Reformjudentum vermutlich die am weitesten auseinanderklaffenden Richtungen sind, die miteinander reden kann, die nicht in verschiedene Blöcke auseinandergebrochen ist, das ist, so Muzicant, in Europa längst keine Selbstverständlichkeit mehr. So gebe es in Deutschland "überall Konflikte" und "in der Schweiz reden sie nicht mal mehr miteinander". Das mit der Schweiz kann ich übrigens, zumindest in Bezug auf Zürich, bestätigen. Zwar nicht aus eigener Erfahrung, aber durch in der ICZ (Israelitische Cultusgemeinde Zürich, so schreibt sich die) involvierte Personen.

Auch die Frage zur Aktivität und Offenheit der IKG und der öffentlichen Wahrnehmung, etwa im europäischen Vergleich, gab es interessante Aussagen. So gab es aus dem Publikum widersprüchliche Meldungen: Zuerst jene einer zugezogenen Person, die findet, dass die IKG eher eine verschlossene Gemeinschaft ist (Was Muzicant natürlich bestritt und eine Reihe von Beispielen brachte). Daraufhin kam dann eine Meldung einer Österreicherin, die etwa 30 Jahre in Deutschland, sowohl im Norden, als auch im Süden, lebte, und die die Wiener IKG wesentlich offener als deutsche Gemeinschaften empfindet. Zudem würde in Österreich, was sie erstaunlich findet, viel mehr über die IKG und Veranstaltungen mit jüdischer Kultur, von denen es laut Muzicant etwa 300 im Jahr gebe, in den Medien berichtet. Wenn die IKG in Österreich eine Pressekonferenz gibt, dann kommen die Medien und berichten auch darüber - etwas, was in Deutschland offenbar weniger der Fall ist.

Zum Thema Restitution

Nach 1945 haben Juden in Österreich "nicht hart genug gekämpft und gefordert" und sind höchstens "als Bittsteller" aufgetreten. Doch das darf man ihnen nicht vorwerfen, haben sie doch gerade den Holocaust überlebt und waren dadurch "zutiefst traumatisiert", wollten "einfach nur leben" (Muzicant).

Viele Österreich heute würden aber nicht verstehen, warum die Restitution nach 1945 "kein Thema" war, aber in den letzten Jahren sehr stark (Landesmann). "Stimmt nicht" (Muzicant) - Die Restitution war von Anfang an ein Thema. Doch nachdem die USA weniger Druck auf Österreich ausübten, da der Kalte Krieg, die Auseinandersetzung mit der Sowjetunion, in den Vordergrund trat, ging die Sache nur schleppend oder gar nicht mehr voran. Viele Richter waren zudem ehemalige Nationalsozialisten, teilweise waren sie sogar selbst Ariseure (Muzicant). Dann war da auch die Nichtanerkennung der Zuständigkeit vonseiten Österreichs – das sich ja Jahrzehntelang als erstes Opfer Deutschlands, das keinerlei Verantwortung für die Ereignisse zwischen 1938 und 1945 trage, betrachtete (was die Republik Österreich allerdings nicht dazu bemüßigte, NS-Rechtssprüche in ihrer Gesamtheit als ungültig zu erklären, wie das etwa in anderen Ländern wie Dänemark geschah). Und ganz abgesehen von all dem: Jene Juden, die den Nationalsozialismus überlebten, taten dies nur in den wenigsten Fällen in Europa. Die meisten waren nach Nord- oder Südamerika geflohen, waren froh zu leben, und hatten natürlich kaum oder keine Ahnung über das Schicksal ihrer ehemaligen Besitztümer in Österreich. Sie bekamen ja auch keinerlei Information, Entschuldigung, Erklärung, Einladung oder sonst etwas vonseiten Österreichs. Restitution wurde als "Holschuld" betrachtet: Wer etwas zurückhaben will, muss nach Österreich und vor Ort den Rechtsweg bemühen. Da Juden bei der Flucht aus Österreich bekanntlich alles genommen wurde, insbesondere das Geld, kann man sich natürlich denken, dass nur wenige in den Jahren nach 1945 die finanzielle Kraft aufbringen konnten, in Österreich ein Gerichtsverfahren zu bemühen, was wiederum einiges an Mut erforderte, da die österreichische Rechtssprechung aus erwähnten Gründen für Juden sehr unvorteilhaft war.

Die Wende in den 90er-Jahren erfolgte im Zuge des Endes des Kalten Krieges. Viele Archive wurden geöffnet, Recherchen nach dem Schicksal von Raubkunst und anderen geraubtem Eigentum konnten leichter durchgeführt werden. Österreich hatte inzwischen eine gewisse Mitschuld am Nationalsozialismus akzeptiert, neue Informationstechnologien (Internet ab Mitte der 90er) erleichterten zunehmend die internationale Kommunikation und Zugang zu Quellen. Aus einigen Klagen entwickelte sich nun eine "Klagsflut", die aus den USA auf Österreich zukam. Aus diesem Druck heraus kam es 1998 zum Washingtoner Abkommen, in welchem sich Österreich zur Restitution verpflichtete. Die Rolle der IKG bei diesen Verhandlungen zwischen Österreich und den USA wurde übrigens zuerst nicht anerkannt. Erst nach einer Klage, die die IKG gewann, wurde sie als Verhandlungspartner mit Österreich und den USA zugelassen.

Insgesamt war und ist die österreichische Restitution dennoch dürftig. In der Regel werden nur 10 % des anerkannten Raubgutes restituiert, wobei grundsätzlich nie der tatsächliche Wert eines Gutes anerkannt wird. Als Beispiel nannte Muzicant ein Haus, das 10 Millionen Euro Wert ist. 6 Mio. € davon werden anerkannt, 600.000 € werden restituiert. Im Gegensatz dazu wurde wieder Dänemark genannt: 90 bis 95 % alles enteigneten Vermögens wurde dort restituiert, und zwar 1945.

So ergibt sich auch heute noch das Bild vom größten Raubzug der Geschichte, der 1938 bis 1945 im einstigen und heutigen Österreich stattfand. Auf damals 18 Milliarden Schilling wird der Umfang dieses Raubzuges geschätzt. Nimmt man als Beispiel die 63.000 Wohnungen, die ab 1938 in Wien "arisiert" wurden, und nimmt man für jede Wohnung eine Ablöse von heute realistischen 50.000 Euro an, so ergibt allein das etwa 3,1 Milliarden Euro.

Zur Waldheim-Affäre

Der Blick Muzicants auf Waldheim unterscheidet sich in einigen Punkten wesentlich von jenem von Georg Markus, jenem der bisherigen vier Gäste, der sich am ausführlichsten über Waldheim geäußert hatte. Während Markus die Waldheim-Affäre lieber nicht so "aufgebauscht" gesehen hätte, da diese "übetriebene" Anti-Waldheim-Kampagne schließlich auch antisemitische Ressentiments geschürt und rechten Politikern Zustrom gebracht hätte, ja sogar "die Straches von heute" ermöglicht hat, sieht Muzicant diese Geschichtsepoche fast komplett gegensätzlich.

Die Waldheim-Affäre war "das beste, was diesem Land passieren konnte", so Muzicant. Sie hat alte Krusten aufgebrochen und endlich eine Zivilgesellschaft in Österreich hervorgebracht. Eine große Gruppe von Menschen, die sich seither kritisch mit der österreichischen Vergangenheit befassen, war zumindest indirekt die Errungenschaft dieser Affäre. Dass durch das mediale Aufblasen der Affäre, samt US-Einreiseverbot für Waldheim, antisemitische, rechte Reaktionen hervorgerufen werden, ist natürlich nicht verwunderlich. Aber die Vorteile, die diese Affäre gebracht hat (Stichwort Zivilgesellschaft, kritisches Befassen mit der Vergangenheit) überwiegen die Nachteile, in Form rechter Reflexe, die ebenso diese Affäre begleiteten.

Waldheim erhielt sein Einreiseverbot im Übrigen nicht wegen seiner Zeit als Wehrmachtssoldat, sondern wegen seinem konsequenten Leugnen, das er so lang betrieb, bis alles bewiesen war. So etwas sein in den USA unverzeihlich. Dieser Mentalitätsunterschied zwischen den USA und Österreich, wo ja das Leugnen quasi Volkssport ist, habe natürlich auch das Seine zum Unverständnis der US-Kritik an Waldheim beigetragen.

Kreisky und Wiesenthal

Was gibts neues zu Kreisky? Nun ja - erneut Aussagen, die ein komplett konträres Bild zur etwas schöngezeichneten Version Markus' bringt. Kreisky habe so einen "intensiven Hass" auf seine jüdische Herkunft gehabt, die er nie überwunden hat (so Muzicant). Und zur Relativierung, Kreisky habe seine jüdische Herkunft doch nie geleugnet: Ja natürlich hat er das nicht, denn wie soll er das denn auch abstreiten (Muzicant, sinngemäß). Aber das ändert nichts daran, dass er ein "gestörtes Verhältnis zum Judentum" hatte. Und die Aussage, dass Juden ein "mieses Volk" seien (welche Markus ja als unwahr bezeichnete), habe Kreisky zweifellos gesagt, jedoch in einem bestimmten Bezug, nämlich als Antwort auf eine Aussage, in der Juden als Volk bezeichnet wurden: "Wenn die Juden ein Volk sind, dann ein mieses".

Im Zuge der Anschuldigen Kreiskys gegen Wiesenthal, er habe mit den Nazis kollaboriert (Kreisky-Peter-Wiesenthal-Affäre), woraufhin Wiesenthal Kreisky wegen übler Nachrede verklagte (dem ganzen voraus gegangen war übrigens die Aufdeckung der NS-Vergangenheit des Kreisky-Ministers Peter durch Wiesenthal), gab es, aus heutiger Sicht wohl eher unerwartet, viele (ältere) Stimmen in der IKG, die sich über Wiesenthal echauffierten. "Wie kann er das nur machen" (so Muzicant über die damalige Stimmung) - nämlich, dass Wiesenthal sich solche Konfrontationen gibt. Grund für diese Stimmung war eben die vor allem bei Kriegsüberlebenden vorherrschende Ansicht, man solle als Jude in Österreich einfach ruhig und unaufdringlich leben. Doch die jüngere Generation sah das eben anders - der Paradigmenwechsel, wie weiter oben beschrieben, kündigte sich an. Ihre Meinung war, dass man ohne eigenständige Position in Österreich keine Existenzberechtigung hat. Sich zu verstecken, ist der falsche Weg.

Es sei jedenfalls als großer Erfolg der IKG zu werten, dass sie bei jeder wichtigen Affäre (Kreisky, Waldheim) eine "klare Position" gehabt habe. Denn dadurch wird die IKG gehört, öffentlich wahr und ernst genommen. Das sei im übrigen auch eine Schwachstelle bei der bzw. den muslimischen Glaubensvertretungen, nämlich dass sie keine starke Führung, jedenfalls keine repräsentative Führung habe.

Unterschied zwischen jüdischer und muslimischer Integration und Glaubensvertretungen

Ein Beispiel für die im letzten Satz getroffene Aussage, nämlich der mangelhaften Organisation der muslimischen Glaubensvertretungen in Österreich, sei laut Muzicant die Religionslehrer-Debatte, die jüngst geführt wurde. Anlass war bekanntlich eine Umfrage eines muslimischen Studenten unter muslimischen Religionslehrern, bei der bei einem Viertel demokratiefeindliche Positionen festgestellt worden sein sollen. Die Studie wurde medial heftig diskutiert, teils auch angezweifelt. Forderungen nach einer Änderung der Gesetze bezüglich Religionslehrerausbildung wurden laut, jedoch vom zuständigen Bildungsministerium nicht wirklich ernst genommen. Als sich dann die IKG, Muzicant, zu Wort meldete, dass die Religionslehrerausbildung kein muslimisches, sondern ein generelles Problem in Österreich sei, habe er zunächst Verwunderung ausgelöst. Doch es sei auch bei jüdischen Religionslehrern oft so, dass sie kaum deutsch könnten und bei mangelhaft ausgearbeiteten Umfragen möglicherweise ebenfalls Antworten kämen, die mit der Demokratie in Konflikt stünden. Auch durch solche Positionen, die nicht bloß jüdische Interessen, sondern generell österreichische, betreffen, verschafft man sich Gehör.

In anderen Fällen treten muslimische Glaubensvertreter sogar aktiv an die IKG heran, um sie um Hilfe in religiös-politischen Debatten zu bitten. So gab es etwa Bedarf bei Regelungen für das religiöse Schächten, also speziellen, religiöse Gesetze beachtenden Schlachtmethoden (vollständiges ausbluten lassen, etc.). Aber auch das sei keine rein muslimische Frage gewesen und erst gemeinsam mit der IKG konnte man da mit der Politik zufriedenstellende Lösungen finden (mit Details kann ich hier leider nicht dienen; Muzicant erwähnte dies lediglich kurz als Beispiel). Jedenfalls scheint es Verbesserungsbedarf bei den muslimischen Glaubensvertretungen zu geben. Es gibt eine Reihe von Vertretungen, die unterschiedliche Positionen vertreten. Eine richtige Dachgemeinschaft, vergleichbar mit der IKG, gibt es trotz der staatlich anerkannten Islamischen Glaubensgemeinschaft unter Anas Schakfeh nicht. Diese hat nur wenige Tausend Mitglieder und wird von anderen islamischen Glaubensgemeinschaften in Österreich nicht als oberste Vertretung akzeptiert.

Schließlich noch zur Frage, wie es sein kann, dass in den letzten Jahrzehnten, als tausende Juden aus dem Osten, die kein Wort deutsch konnten, nach Wien kamen, bis heute zumeist bestens integriert sind und ihre Kinder vielfach Universitätsabschlüsse vorweisen, während dies bei muslimischen Zuwanderern nur viel seltener gelingt (es gibt Studien über Akademikerquoten, Schulabschlussquoten etc. nach Herkunft und Religion, die dies darstellen).

Muzicant hat "keine Ahnung" warum, er würde es selbst gern wissen. Es sei zwar ein Klischee, jüdische Gelehrsamkeit und so, aber er nehme es auch selbst oft war, etwa wenn ein Kind osteuropäischer Zuwanderer innert kürzester Zeit einen Doktortitel an der Wirtschaftsuniversität erwerben. Vielleicht liegt es daran, so Muzicant, dass es oft mehr Anreiz zum lernen und integrieren gibt. Möglicherweise gibt es "einen Druck, sich als jüdische Minderheit in der Mehrheitsgesellschaft zu behaupten, zu integrieren"